Zusammenfassung

„Wir stellten korrekt fest,

  • dass die Hingabe wichtig ist, aber manchmal wurde die Art und Erscheinungsweise der Hingabe wichtiger als die Reinheit des Herzens und es tauchte sogar Heuchelei auf;
  • Die Abkehr ist wichtig, aber wir wiesen den Menschen und nicht nur die Sünde ab;
  • Einheit ist wichtig, aber im Dienst der Mission suchten wir oft nach Unterschieden;
  • Bewertung ist wichtig, aber wir urteilten mitunter zu schnell über eine Person;
  • Die wahre Lehre ist wichtig, aber manchmal blickten wir auf andere herab;
  • Die Taten der Liebe sind wichtig, aber wir entwerteten die eigene Überzeugung, die eigentlich die wahre Quelle der Taten ist.
  • Der Fleiß ist wichtig, aber dafür braucht man die Führung Gottes, und nicht jeder hat die gleichen Aufgaben;
  • Die Gemeinschaft ist wichtig, aber manchmal waren wir übermäßig mit uns selbst beschäftigt;
  • Die Reinheit der Gemeinschaft ist wichtig, aber oft konnten wir nicht weise mit den Schwachen und Ungehorsamen umgehen;
  • Gerechtigkeit ist wichtig, aber oft gab es bei uns zweierlei Maß
  • Der Kampf gegen die Sünde ist wichtig, aber mitunter kämpften wir nicht mit der Kraft und Weisheit Gottes
  • Selbsterforschung ist wichtig, aber auch darin hatten wir Defizite.

Das tägliche Zusammensein und die richtige Gemeinschaft waren gute Ziele. Es lag nur an der Art der Durchführung, dass einige wenige Dinge entstellt waren. Wir waren gegen Weltlichkeit, aber wir übertrieben manches zu extrem. Wir wollten nichts der Hl. Schrift hinzufügen, dennoch entstand eine Gehorsamserwartung, die nur für unsere Gruppe charakteristisch ist. Wir hatten gewohnte Abläufe, die routiniert ohne Gottes Führung getan werden konnten. Einige hatten ein falsches Bild von Fleiß und setzten ihn mit Aktivität gleich. Wir waren versucht, viele Dinge aus Gewohnheit zu machen und betrachteten sie als Methode, die uns ein gewisses Maß an Sicherheit verschafft. Es gab den Wunsch nach Anerkennung, rein in den Augen der anderen zu erscheinen, und wir meinten, das sei Religiosität. Obwohl die Gemeinschaft in den letzten Jahren strikter und verschlossener wurde und so versuchte ihre interne Einheit zu bewahren, hoffe ich doch, dass der Geist Gottes eine Wiederversöhnung mit denen ermöglicht, die Gott weiterhin lieben und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurden. Gott schafft die Einheit unter seinen Kindern.“

Diese Bekenntnis von Aranka erklärt es „präzise und elegant“ und ich kann vom professionellen Standpunkt sagen: Es ist zum einen sicher eine außerordentliche Leistung von einer hingebungsvollen Christin, die mit besonderen Fähigkeiten und Einstellungen gesegnet ist. Zum anderen ist es ein Zeichen des Glaubens an die religiöse Gemeinschaft, um welche sich diese verfeinerte Analyse dreht. Es ist eine Spiritualität, die zum einen von der Sekte der sogenannten Christen stammt, die eine entscheidende Rolle in Arankas sekundären Sozialisation gespielt hat. Zugleich – und im Kontrast dazu – belegt es, das die ehemaligen Mitglieder erwachsen geworden sind und ihre Naivität überwunden haben. Und das trifft nicht nur auf Aranka zu, sondern mehr oder weniger stark auf praktisch alle von ihnen. Selbst für die, die im Vergleich zu der dogmatischen Selbstsicherheit ins Wanken gerieten, war es eher das Vorzimmer eines Paradigmenwechsels.

Die Mehrheit der ehemaligen Mitglieder, genauer gesagt der kleinen Geschwister (noch genauer der kleinen Geschwister der Großen Brüder) wurden Partner: enge Partner ihrer Kameraden, erwachsene Partner für ihre früheren kleinen Geschwister. Die Zwei Jahre Ferien oder Die geheimnisvolle Insel[1] ihres Lebens wurden abgeschlossen, die sich über eineinhalb Jahrzehnt erstreckte. Und glücklicherweise führte es für niemanden von ihnen zu der erschreckenden und vorhergesagten Insel des Herrn der Fliegen[2]. Sie wurden mehr oder weniger fähig, ein erwachsenes Leben ohne den Schutz familienähnlicher Strukturen zu führen, auch wenn ihre Familien zur gleichen Zeit nicht in der Lage waren, sie die die religiöse Gemeinschaft vergessen zu lassen oder sie zu ersetzen. Sogar in dieser familienähnlichen Gemeinschaft, die von einer Dominanz der Älteren Geschwister geprägt und auf vielfältige Weise durch ein Übermaß an Endogenität[3] ohne Intimität gekennzeichnet war, fühlten sich viele beobachtet und kontrolliert, was bei ihnen Unbehagen und sogar Angst hervorrief. Die offizielle Erklärung der Geschwisterlichkeit und Liebe war nicht in der Lage, die Spannungen zu lösen. Sogar die zweitweise Aufweichung ihrer Aszese (die sehr ähnlich der Aszese der frühchristlichen Wander-Charismatiker ist) durch den zufälligen Genuss beim Raufen, war für viele mitunter beschämend und unangenehm.

Viele der ehemaligen Mitglieder erfuhren, dass in dieser Art von geschwisterlicher Gemeinschaft – durch das Fehlen institutionell geschützter und umgrenzter Freiräume – die Demokratie viel schwerer einzubauen ist als auf einer höheren Ebene. Denn es gab keine Regeln, so dass unter den Geschwistern sich neben den Gleichen die Gleicheren und die am Gleichesten etablieren konnten.

Im Laufe der Zeit wurde die Flexibilität und Aufgeschlossenheit dieser religiösen Bewegung zunehmend durch den Rigorismus und Isolationismus einer Sekte ersetzt. Das beraubte sie der Vielfalt, die ihnen sowohl durch die ältere Generation als auch durch die Geschwister in unterschiedlichen Lebenssituationen hätte gegeben werden können. Der Aktionismus, der ihre ganze Zeit und Ressourcen verbrauchte und weder tiefe innere Religiosität und Selbst-Besinnung noch das Entdecken und Umsetzen von Reformen und Alternativen zuließen, welche die weitere Entwicklung erleichtern würden.

Eine exzellente Analyse eines ehemaligen Mitglieds (die zugleich außerordentlich feinfühlig und intelligent ist, soziale und psychologische Aspekte berücksichtigt und dabei alles im Geist des Evangeliums sieht) ist auf besondere Weise zum einen ein Beweis als auch ein Gegenbeweis zu dem positiven Bild, das sich viele (auch unter Soziologen) über die „Christen“ gemacht haben und das auf ihren Lehren basierte, wie man sie auf ihrer Homepage findet oder sich bei flüchtigen persönlichen Begegnungen ergab. Für die Christen, die sich in gewissem Grad in einer Sackgasse befinden, könnte gerade die Haltung und das Denken der ehemaligen Mitglieder einen Ausweg zeigen, das sich in dem Satz ausdrückt „Ich bin zornig für dich, nicht gegen dich.“

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[1] Anmerkung des Übersetzers: Der Verfasser spielt hier auf zwei Romane von Jules Verne an. In beiden mussten Schiffbrüchige einige Zeit auf einer Insel isoliert überleben, was ihnen gemeinsam gut gelang.

[2] Anmerkung des Übersetzers: Es handelt sich dabei um einen mehrfach verfilmten Roman von William Golding. Auch in ihm geht es um das Überleben auf einer Insel nach einem Schiffbruch, das allerdings in brutalen Konflikten mit mehreren Toten mündete.

[3] Anmerkung des Übersetzers: Endogenität meint in der Psychologie: Die Krankheitsverursachung durch eine bestimmte Daseinsverfassung.

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