Allgemeine Ratschläge für alle Phasen

Vermutlich werden Sie diese Seiten erst lesen, nachdem Sie schon einige Gespräche und Auseinandersetzungen mit Ihrem Angehörigen hatten. Beim Lesen werden Sie dabei sicher auf Dinge stoßen, wo Sie das Gefühl haben, da bereits „falsch gehandelt“ zu haben. Das ist verständlich und passiert so gut wie allen. Es gibt im Falle einer Sektenabhängigkeit ganz allgemein und der Holic-Gruppe im besonderen einige Dinge, die man anders machen sollte als in einer normalen Beziehung und Kommunikation. Das konnten Sie damals nicht wissen. Sie haben sich Ihrem Angehörigen gegenüber ganz normal verhalten, ohne um die Besonderheiten des Sektenbezugs zu wissen. Das ist kein Grund, sich Vorwürfe zu machen. Die Informationen dieser Seiten können Ihnen aber für die Zukunft helfen.

In allen Phasen hat es sich als hilfreich erwiesen, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, selbst in Ruhe über alles nachzudenken. Das wird in der Regel nur möglich sein, wenn er eine Weile - und sei es nur ein Wochenende - nicht in der Gruppe ist, in der er sonst jeden Tag mit der Gruppenideologie bearbeitet wird. In der Gruppe hat er keine Gelegenheit, die Dinge einmal mit einem gewissen Abstand von außen zu betrachten und zu bewerten. Die Gruppe versucht diese räumliche Distanz aber bewusst zu verhindern und kümmert sich sehr intensiv um einen Neugeworbenen, so dass er möglichst wenig allein und getrennt von der Gruppe ist. Auch wenn diese Methode aus Sicht der Gruppe recht erfolgreich ist, so sollten sich doch Eltern und Freunde hüten, sie mit umgekehrtem Vorzeichen nachzuahmen. Der Betroffene sollte vielmehr spüren, dass er sich selbst entscheiden kann und nicht wieder von jemand anderem gedrängt und beeinflusst wird. Gerade wenn jemand dabei ist, die Methode der Gruppe zu durchschauen und ihm erste Zweifel kommen, ist er sehr hellhörig für jede Art von Manipulation, die ihn nur wieder vereinnahmen will. Praktisch bedeutet dies, nicht ständig auf den Betroffenen einzureden, wenn er das nicht will, und ihn auch allein zu lassen, damit er sich besinnen und die Dinge bedenken und prüfen kann. De facto ist das aber in der zweiten Phase (Faszination) kaum möglich. Der neue Holic-Anhänger möchte dann nicht mehr getrennt von seiner Gruppe sein. Selbst zu einem abschließenden Gespräch mit den Eltern reist er in der Regel gemeinsam mit mehreren anderen Anhängern an.

Nur am Rande soll erwähnt werden, dass selbstverständlich jede gewaltsame Loslösung (z. B. durch Täuschung oder gar Entführung) aus grundsätzlichen ethischen Gründen prinzipiell abzulehnen ist. Hier können große seelische Verletzungen entstehen. Außerdem bewirkt ein derartiger Versuch auch eher das Gegenteil und ist selbstverständlich gesetzwidrig und damit strafbar.

Ein bei Sektenabhängigen oft gemachter Fehler besteht darin, dass Freunde, Verwandte bzw. Eltern das Problem auf ihre Weise lösen wollen, und so z. B. mit dem Angehörigen wegen seines auffälligen Verhaltens zum Psychologen gehen wollen (Allerdings: Bei einem wirklichen psychischen Problem sollte solche Hilfe durchaus in Anspruch genommen werden).

Auch eine Argumentation auf rein humanistischer Basis oder mit logischen Argumenten kann mitunter im Fall eines Holic-Anhängers ihr Ziel verfehlen. Gerade in der Faszinationsphase ist für den Holic-Anhänger nur noch die Frage entscheidend, wie man richtig nach der Bibel lebt. Andere als biblische Argumente werden deshalb nicht akzeptiert.

Nicht übersehen sollte man allerdings auch, dass die Motivation zum Gruppenbeitritt selten rein religiös motiviert ist. Häufig spielen tiefere menschliche Bedürfnisse eine Rolle: der Wunsch nach Geborgenheit, Gemeinschaft, Sicherheit, klarer Orientierung, Sinnerfahrung, Aufgabe und Lebensinhalt, Akzeptanz, Steigerung des Selbstwertgefühls, Bestätigung… Diese Motive wird ein neuer Anhänger natürlich nie formulieren, sondern seinen Beitritt als rein religiös motiviert darstellen. Deshalb kann eine theologische Argumentation auch erfolglos sein, weil es dem Holic-Anhänger vor allem darum geht, seine Gruppe und seine Lebensform, in der er sich jetzt gerade so geborgen fühlt, zu verteidigen. Er meint, einige der oben genannten, evtl. unerfüllten menschlichen Bedürfnisse jetzt endlich in der Gruppe befriedigen zu können. Seine theologischen Argumente können deshalb mitunter auch als „an den Haaren herbei gezogen“ erscheinen. Zentral für ihn ist der Wunsch, dass sich nichts an seiner Lebenssituation, in der er sich gerade wohl fühlt, ändert.

In der Regel findet man im Leben des Holic-Anhängers und seinen Äußerungen vor dem Kontakt mit der Holic-Gruppe Anzeichen, welche Defizite, unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte bzw. Lebensthemen ihn beschäftigt haben. Hier könnte man überlegen, welche risikoärmeren Alternativen es gibt, diesen Defiziten und Sehnsüchten zu begegnen. Das wird man je nach Phase direkter (Kennenlernphase, Phase der inneren Distanz) oder eher subtil (Faszinationsphase, Ausschlussphase) tun müssen. Hilfreich wäre hier (soweit möglich) nicht nur die reine Nennung des Angebotes, sondern die Möglichkeit, Erfahrungen damit bei einem gemeinsamen Besuch des Angebotes oder einer gemeinsamen Aktivität zu machen. Dies muss dann nicht unbedingt von den Eltern ausgehen, sondern kann auch durch Geschwister, Freunde, Studienkollegen… geschehen, die noch (oder wieder) einen guten Kontakt mit dem Betroffenen haben. Mitunter haben Gleichaltrige hier einen besseren Überblick über die Angebote, die für den Betroffenen hilfreich sein könnten.

Man sollte das Thema von sich aus nicht ständig ansprechen. Andernfalls verstärkt man die Verteidigungshaltung des Angehörigen. Möglicherweise fühlt er sich dann gedrängt, eine Sache zu rechtfertigen, an der er bereits selbst zweifelt.

Bei einem Streitgespräch (z. B. beim plötzlichen Auftauchen von Werbern in der eigenen Jugendgruppe) sollte man mit einem klaren Konzept ins Gespräch gehen. Es ist mit der schon beschriebenen Strategie zu rechnen, dass die eigenen Argumente vom Holic-Anhänger nicht zur Kenntnis genommen werden. Man sollte sich das Gespräch nicht von den Sektenmitgliedern lenken lassen.

Beim Besuch in einer Wohngemeinschaft der Sekte muss man wissen, dass man auch selbst für die dortige Atmosphäre und die Ernsthaftigkeit des Lebensstils der Gruppe empfänglich ist. In der Regel wird man seinen Angehörigen aber nur außerhalb der Wohngemeinschaft treffen können. In die Wohngemeinschaft werden wohl nur Angehörige eingeladen, bei denen man auf einen Beitritt zur Gruppe hofft. Da man sich als Normalbürger im Gegensatz zu Holic-Mitgliedern auch einmal hinterfragt, kann man nach einem solchen Besuch oder intensiven Gesprächen mitunter selber arge Zweifel und Schwierigkeiten haben. Die Selbstsicherheit, mit der die Gruppe auftritt, kann einen zweifeln lassen, ob die Holic-Leute nicht vielleicht doch recht haben und man selbst derjenige ist, der sich irrt. Man sollte deshalb nicht allein hingehen, sondern einen bibel- und glaubensfesten Begleiter haben. Das beugt auch der Gefahr vor, als einzelner von zwei oder mehr Gruppenmitgliedern auf einmal bearbeitet zu werden (das sogenannte Sandwiching). Nach einem solchen Besuch sollte man sich mit Außenstehenden darüber austauschen, um die Dinge mit etwas Abstand sehen zu können.

Als hilfreich hat es sich auch erwiesen, Informationen über andere Sekten zu sammeln. Mitunter begegnet man dort ganz ähnlichen Phänomenen und Praktiken. Während ein Holic-Anhänger sofort in Abwehrhaltung geht, wenn man das Gespräch auf seine Gruppe lenkt, kann man mitunter recht unbeschwert mit ihm über die Zeugen Jehovas oder die Mun-Bewegung reden. Parallelen zu seiner Gruppe sollte er aber selber finden. Der Wink mit dem Zaunpfahl ("Schau mal, ist das bei euch nicht so ähnlich?") bewirken nur, dass er gedanklich abblockt und sich diesen Überlegungen versperrt.

Bei der Sprache sollte man auch schauen, ob man den Angehörigen besser direkt anspricht („Was machst Du am Abend?“ – „Was hat der Franz da gemeint?“) anstatt schon durch die Sprache eine Identifikation mit der Gruppe und Gruppenidentität zu schaffen („Was macht ihr am Abend“ – „Was hat die Gruppe da gemeint?“). Gerade weil in der Gruppe die Individualität des Einzelnen hinter der Gruppenidentität zurück treten muss, sollte man die Individualität des Angehörigen immer wieder in Erinnerung bringen. Das gilt auch für die anderen Gruppenmitglieder, die Ihrem Angehörigen nicht als homogene Masse gegenüber treten, sondern selber unterschiedliche Individuen mit je eigenem Charakter, Kommunikationsverhalten und unterschiedlich starker Identifikation mit der Gruppe sind. Auch das sollte durch Ihre Sprache für Ihren Angehörigen deutlich werden. Allerdings ist das keine starre Regel. Beim Gespräch über Gruppenaktivitäten (z. B. gemeinsamen Fahrten) kann man ruhig von „der Gruppe“ oder „deiner Wohngemeinschaft“ sprechen. Auch hier könnte man je nach Situation unterscheiden, ob man von „der Gruppe“ oder „deiner Gruppe“ spricht. Und dann müssen Sie auch schauen, wie Ihr Angehöriger auf den Sprachgebrauch reagiert.

Ob man in einigen Punkten den Sprachgebrauch der Gruppe übernimmt, die sich selbst als „Familie“ und untereinander als „Geschwister“ bezeichnet, muss man ebenfalls gut überlegen. Ich würde empfehlen, „Familie“ und „Geschwister“ nur für die wirkliche Familie und die realen Geschwister des Angehörigen zu verwenden und ansonsten von „der Gruppe“, „der Gemeinschaft“ oder „deinen (neuen) Freunden“ sprechen. Aber auch hier müsste man sehen, welchen Sprachgebrauch der Angehörige vorgibt, zu dem man sich nicht zu konträr verhalten sollte. Als abwertend empfundene Bezeichnungen wie z. B. „Sekte“ sollte man unbedingt vermeiden.

Immer zu empfehlen ist, solange wie möglich Kontakt zu halten. Stärken Sie das Gemeinsame! Halten Sie weiterhin Kontakt mit ihrem Angehörigen, auch wenn die gemeinsamen Interessen Ihrer Beziehung schwinden. Unterstützen Sie auch seine anderen Sozialkontakte außerhalb der Gruppe. Ein Ausstieg aus einer vereinnahmenden Gruppe fällt umso schwerer, wenn der Aussteigende keine anderen sozialen Kontakte mehr hat und der Ausstieg in eine Einsamkeit führt. Auch wenn die eigenen Briefe nicht beantwortet werden, so signalisieren sie dem Sektenmitglied doch: "Da ist noch jemand außerhalb der Gruppe, dem du nicht egal bist. Wenn du Probleme hast, kannst du dorthin kommen." In der Regel erreichen diese Briefe den Empfänger. Ganz selten passiert es allerdings auch, dass die Gruppe Briefe nicht an den Adressaten aushändigt, "weil das geistig jetzt für ihn nicht so gut ist". Zu dieser Kontaktpflege sollten auch ehemalige Freunde und andere Verwandte motiviert werden. Auch wenn durch die Gruppenideologie Barrieren zu bisherigen Freunden und Verwandten aufgebaut werden, so ist doch die Erinnerung an die früheren auch frohen Zeiten in der Familie nicht so leicht wegzuwischen. Deshalb sollte in Gesprächen auch immer wieder die menschliche Seite angesprochen werden.

Vermeiden sollte man alles, was den Kontakt zusätzlich erschwert. Doch darf dies nicht dazu führen, dass man sich allen (unter Umständen auch finanziellen) Forderungen des Holic-Anhängers beugt. Aber wenn man weiß, auf welche Dinge die Gruppe Wert legt bzw. was bei ihnen als falsch gilt (z. B. Geburtstag oder Weihnachten feiern), kann man unnötige Konfliktfelder vermeiden. So sollte man einem überzeugten Holic-Anhänger gegenüber seine Gruppe auch nie als "Sekte" bezeichnen.

Am schwersten haben es sicher solche Betroffene, deren Angehörige (meist die eigenen Kinder) fest in der Gruppe eingebunden sind und zu denen kaum noch Kontakt besteht. In dieser Situation neigt man schnell dazu, dass sich alle Dinge und Gedanken nur noch um den Angehörigen in der Sekte drehen.

Gerade hier (aber auch sonst) wäre den Betroffenen Mut zu machen, bewusst ihr eigenes Leben weiter zu leben. Auch wenn es leichter gesagt als getan ist: Der Konflikt mit der Sekte darf nicht alle Lebensbereiche überschatten. Wenn Sie Ihrem Kind bzw. Angehörigen helfen wollen, dann brauchen Sie selber eine Basis, die Ihnen Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Man kann schlecht helfen, wenn man sich ständig bedrückt fühlt und eigentlich selbst Hilfe bräuchte. Deshalb sollte gerade auch das normale Familienleben und der Kontakt zu Freunden und Bekannten in dieser Situation weiter gepflegt werden. Ebenso sind Aktivitäten, die einem Glücksgefühle und das innere Gleichgewicht wiedergeben bzw. einmal vom Sektenproblem abschalten helfen (Wanderung, Sport, Tanzen, Konzertbesuch, Urlaub, Verein, Kirchenchor...) immer zu empfehlen. Vernachlässigen Sie in dieser Situation auch nicht die anderen Familienmitglieder. Sie alle leiden unter der Situation und können diese besser gemeinsam bewältigen, als wenn es jeder für sich allein versucht. Nicht nur der Angehörige in der Holic-Gruppe braucht Sie, sondern auch die anderen Angehörigen. Dieses gemeinsame Tragen der Situation und die erfahrene Gemeinschaft untereinander können auch für alle eine Kraftquelle sein.

Ziehen Sie auch rechtzeitig eine Grenze, wenn Sie feststellen, dass Sie das Problem psychisch zu sehr belastet. Schützen Sie sich, und suchen Sie professionelle Hilfsangebote auf, wenn Sie sich selbst überfordert fühlen oder im Zweifel darüber sind. Hilfreich ist es auch hier, wenn Verwandte oder Freunde das Problem mit Ihnen tragen.

Nicht zuletzt aber wird jeder gläubige Angehörige wissen und darauf vertrauen, dass kein Mensch von der Liebe Gottes ausgenommen ist und aus seiner Hand fallen kann. Die Hl. Schrift bringt viele Beispiele, dass Gott auch in Situationen, wo wir keinen Ausweg mehr sehen, eine Tür öffnen kann. Deshalb sollte das beständige Gebet für den Angehörigen und die anderen Gruppenmitglieder einen festen Platz haben.