Der Glaube und das Lebensgefühl eines Sektenmitglieds
Der Einzelne fühlt sich Außenstehenden gegenüber durch seine Zugehörigkeit zur "wahren Gemeinde" überlegen, was sich im entsprechenden hochmütigen Auftreten - natürlich bei den einzelnen Mitgliedern je verschieden ausgeprägt - niederschlägt. Innerhalb der Gruppe wird er eher zu einem demütigen Leben der Selbstverleugnung aufgefordert (sowohl Demut als auch Selbstverleugnung und Gehorsam sind Zentralbegriffe der Gruppe). Ein Christ müsse sich von anderen Christen gern zurechtweisen lassen.
Der Glaube wird zumeist reine Verstandessache und ist nicht mehr gleichzeitig Herzenssache. Ihre Vorstellung eines idealen Christen wird sehr vom genauen Befolgen der angeblich aus der Bibel erkannten Gesetze und dem ständigen (Missions-) Einsatz, also einem sehr starken Leistungsdruck geprägt. Ehemalige Mitglieder meinten: "Deine persönliche Beziehung, deine Liebe zu Christus wird in der Gruppe immer kleiner und hört dann ganz auf. Aber man spürt das gar nicht, dass man nicht mehr an die Gnade Gottes glaubt." Etwas salopp könnte man als Motto formulieren: "Immer im Dienst und keine Gefühlsduselei!" Insgeheim scheint ein Holic-Mitglied sogar Angst vor wahren Gefühlen zu haben, denn diese kann er nicht so kontrollieren. Als Beispiel erzählte eine ehemalige Anhängerin: Sie freute sich innerlich unbewusst über den Besuch eines Verwandten - weil sie gute Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse hatte bzw. weil sie sich einfach freute, dass jemand ein Interesse an ihr hat und sich herzlich und liebevoll um sie müht. Dieses Gefühl erlebte sie dann aber als Bedrohung, denn eigentlich gehört der Verwandte ja zur sündigen Welt und müsste abgelehnt werden. So flüchtet man sich gern in die Rationalität und versucht, vor allem auf der logischen Ebene der Gedanken bzw. der Lehre zu agieren. Nach außen erscheint man kalt und abweisend.
Der Einsatz für Gott (Bibel lesen, Mission und gemeinsames Gebet) hat absoluten Vorrang, dem alles andere unterzuordnen ist. Gern wird dabei der Satz zitiert: "Kauft die Zeit aus!" (Eph 5,16 bzw. Kol 4,5). Damit verbunden ist auch eine ab und an aufbrechende Angst, nicht für das Reich Gottes geeignet zu sein. Entsprechende Bibelstellen (z. B.: Lk 9,62: "Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.") gewinnen große Bedeutung. Diese auch schon bei der Mitgliederwerbung erzeugte Angst ("Was ist, wenn du jetzt plötzlich stirbst?") tritt zwar nicht immer offen zutage, steht aber ständig unbewusst im Hintergrund. Der Lebensinhalt besteht für sie im Gehorsam, diesen Lebensstil bis ans Ende durchzuhalten.
Das Leben ist durch eine große Ernsthaftigkeit geprägt. Man bemüht sich ständig, richtig zu handeln und hinterfragt deshalb auch alltägliche Verrichtungen. Ebenso macht man sich viel Gedanken über das Reden. Die Wortwahl wird genau beobachtet und "unnütze" Wörter bzw. Rede werden gemieden. Auf Außenstehende macht es dadurch den Eindruck als würde hier wie auswendig gelernt gesprochen. (Dies hat allerdings auch seinen Grund bei den in der Gruppe gebrauchten stereotypen Argumenten bei bestimmten Anfragen.) Der Humor nimmt allgemein etwas ab. Man lacht zwar noch in einer komischen Situation, aber es werden z. B. keine Witze mehr erzählt.
Trotz der Herzlichkeit in der Gruppe und der Euphorie, die das Elitebewusstsein hervorruft, und des durch die Gewissheit der Auserwählung entstandenen inneren Friedens wird das Leben von ehemaligen Mitgliedern doch als recht traurig geschildert. Viele Dinge, die Freude machen (Musik, Konzertbesuch, Hobby, persönliche Freundschaften, Privatsphäre, der Verzehr bestimmter Genussmittel...) sind verboten, der Lebensstil ist recht anstrengend und kräftezehrend und durch ihre Betonung des einfachen Lebens wirken die Unterkünfte der Wohngemeinschaften kalt und lieblos. Ein ehemaliges Mitglied drückte es so aus: "Das Leben ist fast eine Strafe, bis man im Himmel ist. Woran darf man sich denn freuen? Was ist wirklich sinnvoll?"