Der Streit um die Ehefrage

Der zölibatäre Lebensstil gehörte üblicherweise zum Leben charismatischer Wanderprediger sowohl in der jüdischen Erneuerungsbewegung, der frühchristlichen Missionbewegung wie auch dem missionarischen irischen Mönchtum. Gleichzeitig gibt es aber einige Spuren von Kompensationshandlungen, die von den Christen „Raufen“ genannt werden. Sie wurden durch den Gründer der Gemeinschaft, G. Holic, eingeführt und auch nach seinem Ausschluss fortgesetzt[1]. Albert beschreibt sie wie folgt: „Damals wirkte es komplett unschuldig. Jeder akzeptierte, dass es nur auf eine reine Art ausgeübt werden kann. Wenn wir uns trafen, umarmten wir einander. Es war ein gutes Zeichen, wenn jemand viel raufte. Viele Mitglieder dachten, dass es zu viel war. Auch mir ging auf, dass das Mädchen, mit dem ich raufte, nicht nur eine Schwester war, sondern auch eine attraktive Frau. Wenn ein Missbrauch geschah, diskutierten wir das. In vielen Fällen war es wirklich ein sehr gutes reines Spiel. Das Problem bestand darin, dass man es als Teil des geistlichen Gehorsams verstand, auch wenn es bei vielen Gelegenheiten anstelle von geistlichen Aktivitäten, wie der abendlichen Diskussionsrunde durchgeführt werden. „Besucher reagierten tatsächlich verstört auf das Raufen. Meiner Meinung nach wäre auch der Apostel Paulus selber darüber erstaunt gewesen. Wir verführten viele männliche Geschwister dadurch zum Bösen“, gesteht Ági ein. Aranka meint „Bei vielen versagte der Kampf um Reinheit. Im Falle des Raufens missbrauchten viele männliche Geschwister die Mädchen, und es gab eine Schwester, welche die Jungen verführte. Es gab viele, die das Raufen fortsetzten, statt sich zu beherrschen. War es richtig, junge Männer einer solchen verführerischen körperlichen Nähe junger Frauen auszusetzen? Und im Hinblick auf unsere Gäste: Hätten wir es nicht vermeiden sollen, sie zu schockieren?“ Die anderen waren derselben Meinung: „Im Zusammenhang mit dem Raufen kann ich die Gemeinschaft nicht als ehrenhaft betrachten. Sie forderten mich zum Raufen auf, als ich gerade angekommen war. Da gab es ein Mädchen, das mit jedem raufen wollte“ (Antal.

Im Hinblick auf die Zeugnisse der ehemaligen Mitglieder war der vorrangige Grund für den Austritt oder Ausschluss die eher dehnbare und unklare Position der Christen in Bezug auf die Ehe. Demnach „war es für sie nicht allgemein verboten, aber nicht passend in der jetzigen Zeit“. Ihre Berichte zeigen, dass es für ein neues Mitglied nicht vollkommen klar war, welche Position die Gemeinschaft in Bezug auf andersgeschlechtliche Beziehungen, Zölibat, Sexualität, Liebe und Ehe vertrat. Ebenso unklar war, was der „Schwur“ wirklich bedeutete. Z. B. konnte sich ein ausgeschlossener älterer Bruder nicht erinnern, ob er bei einem einzigen Schwur dabei gewesen war. Seiner Meinung nach wäre eine ehrlichere Sichtweise und Praxis, dass „es besser ist, heutzutage nicht zu heiraten, aber du kannst heiraten, wenn du willst.“

Ungeachtet der Tatsache, dass die Ehe ein häufiges Thema war, d.h. genauer was Jesus darüber gesagt hat und was in den Briefen des Apostels Paulus stand, hatten viele das Gefühl, dass die entsprechenden Lehren von Jesus und Paulus nie ausreichend diskutiert wurden. Für viele wurde „Ehe oder die Gemeinschaft“ eine Entweder-Oder-Frage, wenn sie sich gerade sehr wohl in der Gemeinschaft fühlten. Der Fall von Norbert (Arankas späterem Ehemann) ist dafür ein typisches Beispiel. „Ich versagte mir die Ehe für 13 Jahre. Als sie mich fragten, was in Bezug auf meinen Schur geschehen sei, entgegnete ich, dass sich die Situation verändert hat. Aber sie akzeptierten das nicht als hinreichenden Grund. Wir wollten die Gemeinschaft nicht verlassen, wir wurden ausgeschlossen. Und es war der einzige Grund unseres Ausschlusses. Es ist bezeichnend, dass sie uns nie als Paar verstanden, sondern eher als eine Person, die unter den schlechten Einfluss einer anderen Person (in meinem Fall dem von Aranka) geraten war. Ich wurde zuerst ausgeschlossen, um sie nicht weiter negativ zu beeinflussen. Als ich meinem Gesprächspartner bei einem der Spaziergänge erzählte, dass ich verliebt sei, sagte er, dass es sich dabei nicht um Liebe handele. Über anderthalb Jahre diskutierte ich das Thema Ehe mit verschiedenen Leuten und bemerkte dabei, dass die Meinung in der Gemeinschaft in diesem Punkt nicht einheitlich war. Sie hatten Angst, dass andere folgen würden, wenn jemand heiratet. Genaugenommen gab die Gemeinschaft keine klare Antwort, sondern ein „eher nicht“. Antal schwur zum Zeitpunkt seiner Bekehrung (lange bevor er in die Gemeinschaft eintrat), dass er nie heiraten würde, womit er sich selbst bestrafte, weil er einem Mädchen untreu war. Er erzählte davon auch in der Gemeinschaft, als das Thema Schwur erwähnt wurde, und meinte, dass er diesen schon abgelegt habe. Aber als sich in ein Mädchen verliebte, verstand er, dass diese ehefeindliche Haltung ein Fehler war. Jedoch konnte er seine Geschwister nicht dazu bringen, das zu verstehen. Sie fürchteten, dass es zu „Ungewissheit“ führen könnte. Aranke meinte, dass sie von Besuchern gehört habe, dass das einzige Ehepaar unter den 180 Geschwistern „schon verheiratet war, als sie beitraten“. Und es gab keine klare Aussage (auch nicht denen gegenüber, die direkt nachfragten), das die Ehe in der Gemeinschaft nie erlaubt gewesen sei. Denn sie befürchteten, dass das Beispiel Schule machen würde. So wurde es für viele zu einer Gratwanderung zwischen einer Selbstbeschränkung ohne eigene Überzeugung oder einer persönlichen Berufung. Eine Verletzung des Schwurs bedeutete ein Versagen. Wir lehrten nicht, dass Sexualität schlecht ist, aber wir konnten einander nicht ehrlich über korrekte Beziehungen belehren/erziehen. Hier zeigt sich, woran es einer ganzen Generation der Gemeinschaft mangelte: an Erfahrung. Wir konnten mit unseren Gefühlen nicht nichtig umgehen, besonders wenn wir uns von jemandem angezogen fühlten oder uns verliebten. Das zeigt sich auch im Sprachgebrauch: „Sie ist von ihm abhängig“, „Sie hat ein Problem mit ihm“. Sie sahen die Lösung des Problems darin, dass die beiden nicht miteinander sprechen sollten“, beschreibt Aranka das Dilemma auf sehr behutsame Weise. Andere sprechen darüber deutlicher: „Das ist nicht biblisch! Das ist ungesund! Da brannten viele voll Verlangen und wurden daran geistlich krank. (M. Österreich), „Wenn die Ehe in der derzeitigen Situation nicht empfehlenswert sei, so müsste ein solches Opfer einigen Nutzen hervorbringen und nicht dazu führen, dass die Gemeinschaft Mitglieder verliert“ (Ágig). Und ein weibliches ehemaliges Mitglied aus Estland[2] zitiert Diogenes und Ignatius um zu beweisen, dass diese die frühen Christen und ersten Gemeinden als Beispiele dafür anführten, dass die Ehe nicht verboten sei.

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[1] -Vermutlich hat es seine Ursache in seiner ungewöhnlichen (oder nicht ganz gesunden) Persönlichkeit. Wenn man ihn fragte, ob er eine Freundin hätte, antwortete er, dass er in dieser Beziehung sehr schüchtern sei. Seiner Meinung nach war es ein Sport, und mehr noch ein Sport, bei dem man zu einer innigeren Beziehung mit der anderen Person kommen könne.

[2] Sie ist jetzt Mutter und ihr Mann ist ihr ehemaliger „Bruder“ (meint: sie waren vorher zusammen in der Sekte. Anmerkung des Übersetzers)

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