Wie wird geworben?

Meist tauchen die Holic-Anhänger zu zweit bei einer Jugendgruppe, Bibel- oder Gebetskreis ... auf und stellen sich (in der Regel erst auf entsprechende Fragen) als interessierte Teilnehmer vor. Fragt man genauer nach (z. B. zu welcher Kirche sie gehören, woher sie kommen und wie sie heißen), erhält man keine oder eher ausweichende Antworten. Meist nennen sie auch nur ihre Vornamen.

In der besuchten Gruppe versuchen die Holic-Anhänger, das Gespräch an sich zu reißen und den Anwesenden klarzumachen, dass sie keine richtige bibelgemäße Gemeinschaft seien. Sie halten ihnen vor, was alles bei ihnen unvollkommen ist und welche Merkmale einer wahren Gemeinde bei ihnen fehlen würden. Hierbei beobachten sie, wer von diesen Ausführungen angesprochen oder auch menschlich nicht ganz in die Gruppe integriert erscheint. Diese Leute werden dann gern noch außerhalb der Gruppe von den Holic-Anhängern angesprochen und zu ihren Zusammenkünften eingeladen. Es sind Fälle bekannt, wo diese irreführend als private, lockere Bibelgesprächskreise deklariert wurden und jeder organisatorische Hintergrund geleugnet wurde.

Seit Ende der 90er Jahre gibt es eine neue (briefliche) Variante der Werbung: Die Gesprächspartner werden gebeten, ihre Anschrift zu hinterlassen und auch selber aufgefordert, dem Gruppenmitglied zu schreiben. Das ist übrigens der seltene Fall, dass die Adresse einer Wohngemeinschaft nach außen dringt. Wenn der Gesprächspartner von sich aus nicht schreibt, erhält er Briefe des Holic-Anhängers, mit denen er gedrängt wird, doch eine Entscheidung für die Gruppe zu treffen. Inzwischen wird aber verstärkt auf den Kontakt per E-Mail gesetzt.

Seit etwa 2001 wird auch die oben beschriebene Form der Werbung mit Flyern praktiziert. In ihnen wird versucht, Menschen anzusprechen, die religiös auf der Suche sind. Die Angaben auf diesen Flyern ("ohne Verein und Organisation") verschleiern bewusst den Charakter der Gemeinschaft mir ihrer internationalen Organisation. 

Wo eine größere Distanz zum Wohnort des Neugeworbenen besteht und dieser noch nicht in die Wohngemeinschaft der Gruppe zieht, kann der Kontakt auch über tägliche, meist mehrstündige Skype-Telefonate gehalten werden. Diese werden nicht dem Zufall überlassen, sondern feste Zeiten dafür vereinbart.

Im Gespräch mit Interessierten wird bewusst an Negativerfahrungen mit ihrer bisherigen Gemeinde angeknüpft, die teils in der Gegenwart liegen (zu wenig missionarisches Engagement, Lauheit, zu wenig Spiritualität, Traditionschristentum, Anonymität) oder auch in der Geschichte der Kirche (Kreuzzüge, Inquisition, Reichtum, Kirche und weltliche Macht) begründet sind. Der einzelne wird vor allem nach Punkten gefragt, die ihm an seiner Gemeinde/Kirche nicht gefallen, der Finger auf vermeintliche oder wahre Missstände gelegt und die dunklen Seiten der Kirchengeschichte genüsslich entfaltet. Während man es in Österreich vor allem mit der Katholischen Kirche zu tun hatte, widmete man sich nach dem Wechsel in den Osten Deutschlands auch verstärkt der evangelischen Kirche. Durch eine intensive Beschäftigung mit Geschichte, Lehre und Praxis der reformatorischen Kirchen sollte im Sinne der Sekte verwertbares Material gefunden werden. Besonders die Gestalt Luthers wird hier in den dunkelsten Farben gemalt (Er sei ja fett gestorben und sie meinen: "Wer fett ist, kann kein Christ sein!"). Bei dieser Kritik an der Kirchengeschichte geht es nicht um ehrliche Betrachtung der Geschichte, sondern darum, Munition für die eigene Argumentation zu finden. Man sucht allein nach Negativerfahrungen und Fehlern. Positive Züge werden übergangen, wodurch ein Zerrbild der entsprechenden Kirche entsteht, das sich aber gut als Feindbild verwenden lässt. Auf dieser schwarzen Folie erscheint dann als Kontrast die Holic-Gruppe als die wahre und vollkommene Gemeinde.

Der Angeworbene wird also dazu gebracht, ständig nach Fehlern in seiner bisherigen Gemeinde zu suchen, denen gegenüber die Holic-Gruppe als vollkommen erscheint. Parallel dazu wird auch das bisherige Christsein des Neugeworbenen angezweifelt. Anhand verschiedener Kriterien (z. B.: Missionseifer, Leben nach biblischen Maßstäben) wird beurteilt, ob er früher überhaupt Christ war. Bei den meisten Mitgliedern herrscht das Gefühl vor, dass ihr Christsein eigentlich erst mit dem Kontakt zur Holic-Gruppe begann. Ihr früheres (nach unseren Maßstäben meist sehr engagiertes) christliches Leben sehen sie selbst als halbherzig, unvollkommen und eigentlich nicht wirklich christlich an. Deshalb wird bei ihnen auch in der Regel eine nochmalige Taufe vollzogen. Im Kontrast zur bisherigen eigenen Vergangenheit wird dann die jetzige neue Gemeinschaft als die wahre Fortsetzung des Urchristentums dargestellt. Für den Neuen beeindruckend sind die angeführten Bibelstellen, die als direkt auf die Gruppe zugeschnitten erscheinen. Er bekommt die Vorstellung, als würde die Bibel auf wunderbare Weise Gegenwart.

Sein bisheriges soziales Umfeld wird ihm immer mehr entfremdet. Teilweise ist es eine logische Folge, dass der Neugeworbene wegen der starken zeitlichen Inanspruchnahme durch Gruppentreffen oder Telefonate kaum noch Zeit hat, seine anderen sozialen Kontakte zu pflegen. Von der Gruppe (die sowieso meist Menschen anspricht, die sich einsam fühlen) wird das dann noch benutzt, um das Desinteresse seines früheren Umfelds zu begründen: "Wer außer uns hat dich denn seit gestern angerufen?"

Die Argumentation ist mitunter so einheitlich (es werden die gleichen geschichtlichen Fakten zitiert, mit denselben Bibelstellen hantiert und bisweilen ist der gesamte Argumentationsgang völlig identisch), so dass dahinter eine gute Schulung zu vermuten ist.

Zwei weitere Themen, die mit neuen Interessenten ausführlich besprochen werden, sind "Sünde" und "Freiheit". Beim Thema "Sünde und ihren Folgen" wird dem Neuen vor allem das eigene sündhafte Leben sehr eindringlich klargemacht. Das Thema "Freiheit" soll ihm durch die Betonung der eigenen Entscheidungsfreiheit die Notwendigkeit und Fähigkeit zur Bekehrung vor Augen führen. Gleichzeitig wird damit bereits ein gewisser Schutz gegen Kritik von außen errichtet: Kritik an der Gruppe und dem neuen Lebensstil wird als Einmischung in die selbständigen Entscheidungen des neuen Mitrglieds und als Angriff auf die persönliche Freiheit gewertet. Von außen betrachtet engen allerdings die Vorgaben der Gruppe die Freiheit des neuen Mitglieds gravierend ein. Er wird immer unfähiger zur selbständigen Entscheidung. Ein Holic-Anhänger wird dies jedoch nicht so empfinden und auch nicht wahrhaben wollen. (Anmerkung: Ein Zeichen von Freiheit und eigener Entscheidung wäre eine unterschiedliche Lebenspraxis. Menschen kommen zu unterschiedlichen moralischen Urteilen und Einschätzungen und verhalten sich dementsprechend unterschiedlich. Bei einer einheitlichen Lebenspraxis steht eine ausdrückliche oder ungeschriebene Vorschrift dahinter, welcher sich der Einzelne anpassen muss.)

Ein wirkliches Gespräch bzw. eine Diskussion mit Holic-Anhängern ist eigentlich nicht möglich. Ähnlich wie bei den Zeugen Jehovas gehen sie mit einem klaren Konzept in das Gespräch, in welchem sie ihr Gegenüber belehren wollen. Die Argumente und Gesprächsbeiträge des anderen sind unwichtig.

Es wird deshalb regelrecht antrainiert, nicht auf die Argumente des anderen zu hören, sondern nur ein Stichwort aus dem von ihm Gesagten zu benutzen, um den eigenen Faden weiterzuspinnen. Neuen Mitgliedern wird z. B. gesagt: "Was die anderen sagen, ist falsch, durchdenk' es einfach gar nicht erst!" Die fremden Argumente sollen keinen Einfluss auf einen ausüben. Auch wenn einige der Beiträge, welche die Diskussionspartner einwerfen, richtig sein sollten, so stünden nach ihrer Meinung "die anderen" doch auf einem falschen Grund, wodurch auch ihre Meinungen und Argumente letztlich falsch würden und man sie jetzt nicht annehmen könne. Im Gespräch mit Holic-Anhängern hat man deshalb den Eindruck, als hätten die eigenen Argumente bei ihnen überhaupt keinen Eindruck gemacht. Dennoch setzt bei einigen auf dem Nachhauseweg dann doch das Nachdenken ein. In den meisten Fällen werden die Fragen allerdings nachher in der Gruppe besprochen, bis man eine Entgegnung gefunden zu haben glaubt. Teilweise werden Diskussionen (z. B. über die richtige Auslegung einer Bibelstelle) deshalb von ihnen als eine Art Sport gesehen. Wenn man keine Antwort mehr wusste, wird das Thema nachher in der Gruppe eifrig besprochen, um eine Lösung im Sinn des eigenen Denkschemas zu bekommen. Danach freut man sich, wieder ein neues "Argument" zu haben.

Verhält sich der Diskussionspartner recht hartnäckig, kann es auch passieren, dass das Gespräch abrupt abgebrochen wird.

Eine weitere Methode besteht darin, durch Schweigen zu antworten. Sie lässt sich am besten an einem Beispiel verdeutlichen: Ein neu zur Gruppe gekommenes Mädchen wird gefragt, wie es denn das Christsein ihres Großvaters einschätze. Sie meint, dass er nach ihrem Eindruck und auch nach den Kriterien der Gruppe eigentlich ein guter Christ sei. Ihre Gesprächspartner aus der Gruppe meinten, dass er es nicht sei. Allerdings erhielt sie auf ihre Nachfrage, warum denn nicht, keine Antwort, sondern wurde aufgefordert, doch selber die Antwort zu finden. Schließlich "erkannte" sie, dass er kein richtiger Christ sei, weil er nicht mit in der Gruppe lebe. Hier lässt man den Neuling die überlegene Urteilskraft der "Älteren Geschwister" spüren und gibt ihm andererseits das Gefühl, quasi selbst zu der (von der Gruppe erwünschten) Erkenntnis gekommen zu sein. Die Antwort ist bereits vorgegeben, man soll sie nur noch mit eigenen Argumenten begründen.

Mögliche Interessenten bekommen während des Gesprächs eine Einladung in die Gruppe. Dort erleben sie eine sehr enge Gemeinschaft, die sie wiederum beeindruckt. Neu Geworbene werden längere Zeit intensivst betreut (das schon von anderen Sekten bekannte "love bombing"). Es sind Fälle bekannt, wo sich einige Mitglieder mit Wohnwagen mehrere Monate in einer anderen Stadt aufhielten, um sich einer neuen Jüngerin sicher zu sein. Aus Polen wird berichtet, dass Anfang der 90er Jahre dort teilweise Minderjährige gegen den Willen der Eltern in die Gruppe verbracht wurden. Eine Anhängerin, so wird berichtet, wurde 1992 deshalb wegen Kindesentführung (oder Kindesentzug?) zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Die Neuen werden gedrängt, soviel Zeit wie möglich (mitunter sogar die Schulpausen) zusammen mit anderen Holic-Anhängern zu verbringen. Allgemein wird berichtet, dass sie in dieser Zeit sehr wenig zum Schlafen kommen. Durch die daraus folgende Übermüdung sind sie leichter anfällig für psychische Beeinflussung. Diese geschieht mit den schon von anderen Sekten bekannten Methoden der Milieu- bzw. Informationskontrolle (möglichst wenig Kontakt zu Außenstehenden, Abschirmen von kritischen Informationen bzw. die Unterstellung niederer Absichten bei den Kritikern), Gedankenkontrolle (möglichst wenig allein sein, ständiger enger Kontakt zu Gruppenmitgliedern, geschickte Steuerung der eigenen Gedanken durch entsprechende Gespräche, Auswahl der Bibelstellen ...), die Arbeit mit Schuld- und Angstgefühlen sowie der Drang zu dauernden Aktivitäten mit den entsprechenden Folgen der Übermüdung. Für diese oft ungenau als "Gehirnwäsche" bezeichnete psychische Manipulation hat der verstorbene Friedrich Wilhelm Haack den Begriff "Psychomutation" geprägt. In neuerer Zeit spricht man eher von "Bewusstseinskontrolle". (Sehr gut beschrieben sind diese Mechanismen in dem Buch von Steven Hassan "Ausbruch aus dem Bann der Sekten", rororo-Sachbuch 9391.) Der Übergang in die Gruppe vollzieht sich in relativ kurzer Zeit. Manchmal reichen einige wenige Tage, in denen sich der Betreffende radikal verändert.

In der ersten Zeit ist der Neuling noch von Zweifeln und Unsicherheit gequält. Diese Gefühle können recht bedrückend werden und bis zu Selbstmordgedanken führen. So faszinierend die neue Gruppe erscheint, so schmerzlich empfindet er doch den geforderten Bruch mit der bisherigen Umwelt, seinen Freunden und seiner Familie. Auch äußerlich ist der neue Holic-Anhänger in dieser Phase recht auffällig, und Außenstehende beobachten eine sehr starke Persönlichkeitsveränderung: Er verliert seine ursprüngliche Fröhlichkeit und Herzlichkeit und macht einen zunehmend "verbiesterten" und kaltherzigen Eindruck; er wirkt niedergedrückt, weint viel, ist übernächtigt, lässt in seinen schulischen bzw. beruflichen Leistungen nach und verliert die Fähigkeit zum Humor. Mitunter spiegeln sich diese seelischen Kämpfe auch in körperlichen Symptomen (z. B. Abmagern, unsteter Blick) wieder. Nach einer gewissen Phase der Stabilisierung findet der neue Anhänger dann inneren Frieden und Ruhe und fühlt sich glücklich in der Gemeinschaft. Die geschilderten Symptome klingen danach wieder etwas ab.

Die Schulung in der Gruppe geht zu einem großen Teil über die Gespräche bei den langen Bibelgesprächen und bei den Wochenendwanderungen. Mitunter wird direkt bei der Einteilung zu den Spaziergängen bedacht, wer mit einem Neugeworbenen welches Thema zu besprechen hat. Als man z. B. versuchte, ein Mädchen zur Aufgabe ihres bisherigen Berufs als Konditor zu bewegen (der frühe Arbeitsbeginn war ein Hindernis für die langen abendlichen Treffen), bekam sie für den gemeinsamen Spaziergang einen jungen Österreicher zugeteilt. Er erklärte ihr lange, wie er seinen Beruf aufgab, weil er ihn als unchristlich erkannt hätte. Es ist aber selten, dass der Neuankömmling zu einer bestimmten Handlung direkt gedrängt wird. Meist geschieht es dadurch, dass ein Neuer durch Gespräche in der oben geschilderten Form oder durch die geschickte Auswahl der Bibelstellen bei den abendlichen Bibelgesprächen dazu geführt wird, dies "selbst zu erkennen". Auch die Abgabe des eigenen Besitzes in die Gütergemeinschaft der Gruppe wird nicht eingefordert, sondern nach einer gewissen Zeit macht es der Einzelne von sich aus. Die Mitglieder erfahren in der Gruppe deshalb vordergründig keinen Zwang. Für den außenstehenden Beobachter zeigt er sich aber subtiler in den Formen des sozialen Gruppendrucks (alle machen es bzw. es ist in der Gruppe so üblich, und der Neue möchte einfach dazugehören), der entsprechenden Auswahl von zu betrachtenden Bibelstellen und den Gesprächen auf den Spaziergängen. Hier kann man schon von einer gezielten psychischen Manipulation sprechen. Eine Ausnahme bildet dabei der Kirchenaustritt, zu dem doch recht massiv gedrängt wird.

Äußere Kritik, die sie auch bei ihren "Missionen" wegen des elitären und intoleranten Auftretens erfahren, wirkt auf die Gruppe eher zusammenschweißend. Man gefällt sich in einer gewissen Leidens- bzw. Märtyrerrolle. Wie bei anderen Sekten wird die Kritik von außen zum Beweis der eigenen Richtigkeit instrumentalisiert ("Die müssen ja gegen uns ein, weil wir die Wahrheit lehren.").

Falls man einmal mit Werber dieser Sekte in der eigenen Jugendgruppe ... konfrontiert wird, fällt es ziemlich schwer, diese als Holic-Mitglieder zu erkennen. Auf die Frage, wer sie seien, bekommt man zur Antwort: "Wir sind Christen." Jede Konfessionsbezeichnung wird abgelehnt. Mitunter bezeichnet man sich auch als "Neue Christen" oder "Wahre Christen". Überhaupt antworten die Werber auf Fragen, die sie selbst bzw. ihre Gemeinschaft betreffen, sehr zögerlich, ausweichend und wortkarg. Zu erkennen sind sie deshalb nur an dieser Ablehnung jedes Namens oder Konfessionsbegriffs, der hochmütig-elitären Selbsteinschätzung (nur sie seien wirkliche Christen, nur sie würden wirklich nach der Bibel leben) sowie der ausgeprägten Kirchenfeindlichkeit. Da ein großer Teil der Mitglieder aus Österreich stammt (mit den entsprechenden Autokennzeichen), war auch das mitunter ein Erkennungsmerkmal. Inzwischen besitzt die Mehrzahl ihrer Fahrzeuge und Kleinbusse in Sachsen einheimische Kennzeichen (Dresden, bzw. Berlin und Stuttgart - früher auch Plauen und Rochlitz). Die Wohngemeinschaften in Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik besitzen ebenfalls Kleinbusse mit lokalen Kennzeichen.