Die Gemeinschaft der ehemaligen Mitglieder

Ein bedeutender Anteil derer, die unterschiedliche religiöse Gemeinschaften (besonders Sekten) verlassen haben, neigen dazu, ihre frühere Gemeinschaft negativer zu beschreiben, als sie in Wirklichkeit war. En kleinerer Teil von ihnen beschuldigt sich selbst und bauscht seine eigenen Fehler und Sünden auf, die zu seinem Ausschluss oder Austritt geführt haben. Keines dieser Verhaltensmuster ist wirklich typisch für die angenehme Gemeinschaft der Ex-Geschwister – die aus unterschiedlichen Ländern stammen – die sich regelmäßig trifft. Auch wenn es sowohl einige gibt, die sehr deutliche Kritik äußern, als auch einige, die sich selbst beschuldigen. Albert und Antal begannen zuerst per E-Mail, ihre Leidenskameraden zu kontaktieren, um die Vergangenheit, die ein schmerzvoller Teil ihres Lebens war, aufzuarbeiten und zu verstehen. Dieser Blick in die Vergangenheit ist zugleich eine Selbst-Prüfung: Was war es, das sie nicht richtig in der Theorie und Praxis der Gemeinschaft verstanden haben? Die meisten von ihnen haben nicht vor, eine Konkurrenzorganisation zu gründen oder die Ungerechtigkeit, die sie erlitten hatten, zu rächen. Auf ihrer Homepage[1] verteidigen und kritisieren sie ihre frühere Gemeinschaft gleichermaßen recht ausgeglichen: „Viele entstellte Behauptungen wurden über die Gemeinschaft aufgestellt. Diese Seite wurde nicht im Geist der Feindschaft erstellt, sondern will eher die vielen guten Werte anerkennen, die die Gemeinschaft repräsentiert. Hier kann man die Texte derer lesen, die einige Jahre mit den Geschwistern gelebt haben, und die auf Grundlage ihrer eigenen Erlebnisse schreiben. Die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit kann nicht leicht fallen, denn es konfrontiert uns auch mit uns selbst, aber die Klarheit ist hilfreich. Lasst uns das Gute nicht schlecht und das Schlechte nicht gut nennen. Mit der Schwäche eines anderen kann nur der fair umgehen, der seine eigene Fehlbarkeit erkennt und bereit ist, sich zu prüfen, ob er selber ähnliche Fehler auf verschiedene Art gemacht hat. „Mit dem Urteil, mit dem ihr urteilt, werdet auch ihr verurteilt und mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man auch euch messen“ (Mt 7,2). Danach folgt an Frage an alle: Was würdest Du anders machen? Was war gut? Was war in der Theorie gut, aber in der Ausführung falsch? Was fehlte? Über welche Fragen sollte man nachdenken?

Auf die Frage, was gut war, antworteten die meisten: die geschwisterliche Liebe, die Bereitschaft, anderen zu dienen und miteinander zu teilen, die Bedeutung der reinen Lehre, das gemeinsame Bibelstudium, dass nur Christen in der Gemeinschaft sein sollen, dass der Kampf gegen die Sünde wichtig ist, die Zurückweisung schlechter Praktiken und Theorien. Zum einen spiegelt das die deklarierten und angestrebten Werte der Christen wieder, wie sie auf ihrer Homepage erscheinen. Zum anderen tauchen im Bericht der ehemaligen Mitglieder gerade auch solche Dinge auf, die nicht gut funktionierten. Auf die Frage: „Was würdest du anders machen?“[2] antworteten die meisten: mehr Zeit für die persönliche Besinnung und das Gebet erlauben; nach den Überzeugungen handeln, die eigene Meinung immer offen sagen, intensiver gegen das vorgehen, was man als schlecht erkannt hat, die Beziehung mit den Verwandten und Freunden, mehr Respekt vor der Freiheit und Verschiedenheit der anderen haben. Es ist leicht zu erkennen, dass die Antworten, die auf die vorhergehenden Fragen gegeben wurden, eher nostalgisch sind, aber sie wurden im Geist des Erwachsen-Seins, des Selbstbewusstseins und der Verantwortlichkeit gegeben.

Zum Thema der falschen Umsetzung einer guten Theorie wurde vor allem die theoretische Erlaubnis und das gleichzeitige praktische Verbot der Ehe erwähnt, gefolgt vom Kontrast zwischen dem Prinzip der Geschwisterlichkeit und der praktischen Verhinderung seiner Dursetzung. Das folgende wurde ergänzend dazu erwähnt: Das Interesse an einander und die gegenseitige Überwachung, der Missbrauch der öffentlichen Sündenbekenntnisse bei gleichzeitiger Missachtung der Privatsphäre, Uniformität statt Einheit, die Erklärung der Aufgeschlossenheit und die Zurückweisung richtiger Korrekturen, im Rahmen des Ringens um Heiligkeit eine zu große Betonung der Sünden und Vernachlässigung der Selbsteinschätzung, anstatt der Abwendung von der Welt ein Rückzug aus ihr, die Reduzierung der Gesundheitsvorsorge auf das Raufen.

Unter den Punkten, die man als falsch einschätzte, wurden am meisten erwähnt: Die Verkündung des eigenen Lebensstils anstelle von Christus, die extreme Zurückweisung der Eltern und Verwandten, das Ärgernis-Erregen bei den Besuchern (z. B. mit dem Raufen), ehrgeizige Geschwister konnten einflussreich werden, die Überbewertung der Aktivitäten, extreme Etikettierungen („stark-schwach“, „gehorsam-ungehorsam“), die gegenseitige Abhängigkeit, das Anpassungsbestreben und der Wunsch, gemocht zu werden. Was die ehemaligen Mitglieder am meisten vermissten, war: das ehrliche Eingeständnis, dass man falsch gehandelt hat, die unausgereifte Lehre zu wichtigen Themen, dass man der göttlichen Führung im Leben der individuellen Christen mehr Raum hätte geben sollen anstelle der ständigen Kontrolle durch die Gemeinschaft, eine stärkere Betonung der Gnade und Erlösung, dass man Feste feiert, die Klärung der Frage des „Schwurs“, was mit dem Vermögen geschieht, wenn jemand die Gruppe verlässt oder ausgeschlossen wird.

Eines wird in diesen Antworten klar: Daraus spricht nicht Rache oder Gleichgültigkeit. Der Beobachter gewinnt den Eindruck, dass die ehemaligen Mitglieder ihre Reformgedanken mit dem Ziel äußern, dass ihre ehemalige Gemeinschaft verbessert wird. Praktisch jeder von ihnen ist nach wie vor Christ, die Mehrzahl in ähnlicher Weise wie die Christen, die anderen auf eine Art, bei der sie sich nicht länger als die einzig mögliche Verkörperung des Weges, der Gerechtigkeit und des Lebens verstehen. Ihre Verbindung ist so stark geblieben, dass nur einige wenige anderen Gemeinschaften beigetreten sind. Und auch wenn die meisten von ihnen auch eine Familie gegründet haben, vermissen sie in gewissem Maß ihr früheres Zuhause. Ihre Gemeinschaft und das gemeinsame Tun ist zur Zeit sehr wenig „institutionalisiert“. Unser Treffen vor zwei Jahren geschah auf ihrer zweiten Konferenz[3]. An ihr nahmen etwa ein Dutzend Leute teil. Auf dem Programm kam neben der Diskussion des Themas „Warum geschah es auf die Weise, wie es geschah“ ein Gespräch über einige biblische Themen auf. Meiner Meinung nach brachte sie vor allem die Tatsache zusammen, dass sie ihre frühere Gemeinschaft vermissten (ihr Zuhause, die Unterstützung, alles). Dabei hatten sie gegensätzliche Gefühle von „weder mit noch ohne“, die Agi wie folgt ausdrückt: „Ich fühlte zum einen, dass ich heute nicht mehr so wie damals leben könnten. Zum anderen können wir ohne eine Gemeinschaft nur einen kleinen Teil des LEBENS erfahren. Ich sehne mich nach einer wirklichen Gemeinschaft der Liebe, aber oberflächliche und seichte religiöse Gemeinschaften stoßen mich ab“. Oder wie es ein polnisches Ehepaar empfindet: „Wir tragen Traurigkeit in uns, weil wir noch keine andere Gemeinschaft gefunden haben“ (ein polnisches Ehepaar). Oder Aranka sagt es auf diese Weise: „Es war schmerzhaft, als sie den Kontakt mit mir aufgaben. Ich fühlte mich wie lebendig begraben. Ich wäre noch heute gern mit ihnen zusammen. Ich bitte Gott, dass er unsere Wiederversöhnung bewirken kann.“

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[1] http://sites.google.com/sitenemleplezve

[2] Das wurde durch zwei Fragen ergänzt: „Was hättest Du im Rückblick damals anders getan? (Wenn Du heute der Gemeinschaft beitreten würdest) Was würdest Du anders tun, wenn Du heute in der Gemeinschaft wärst?

[3] 2007

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