Umgang mit psychisch Belasteten - Bericht eines Vaters (2009)

Unsere Tochter (A) hatte bei ihrer Aufnahme ein schweres Schicksal hinter sich (stationäre Aufenthalte in Psychiatrien und Wohnheimen), was die Gruppe wusste. Nach einem mehrmonatigen Probewohnen, mit sofortigem Kontaktabbruch zu den Eltern, bedeutete  ihr die Gruppe, in der die „Älteren“ das Sagen hatten, psychische Erkrankungen hätten ihre Wurzel in irgendeiner „Sünde“,  und veranlassten A zu bekennen, dass “Stolz“   und „Rebellion“ dem zugrunde lägen. Das Wort „Sünde“ beherrschte das Leben der Gruppe. Eine der „Älteren“ litt selbst unter einem körperlichen Handicap, versuchte das aber mit ihren Leistungen zu überspielen, und gab so das Beispiel, auch für A, ihre Belastung quasi zu ignorieren. Meine Tochter, die infolge ihrer Krankheit keinen Beruf  erlernen konnte und nur wenig belastbar war, wurde veranlasst, an 5 Tagen der Woche den Haushalt der Gruppe zu führen, was für sie bereits eine Überforderung bedeutete. Krankheitsbedingt hatte sie auch ein erhöhtes Schlaf- und Regenerationsbedürfnis. An fast allen Wochenenden und teils auch in der Woche entwickelte die Gruppe (auch für Gesunde) sehr anstrengende Aktivitäten mit u.a. längeren Fahrten über Nacht. Die gemeinschaftlichen Abende im Gruppenhaus gingen bis in die Nacht hinein. Das Bibelgespräch begann regelmäßig erst gegen 23..30 Uhr und endete gegen 01.00 Uhr.  Wenn A nicht mehr konnte, sich zurückzog oder dabei einschlief, wurde ihr das als „Sünde“ vorgeworfen. Nach „Ermahnungen“ folgte ein förmliches „Gespräch“, in welchem sie diese Schwäche als „Sünde“ bekennen und eine „Umkehr“ versprechen musste. Diese ja nicht abzustellende „Sünde“ wurde dann mit ein Ausschlussgrund. 

Nach einem ¾ Jahr Haushaltsführung mit Kochen u.a. versuchte sich A auf Initiative der Gruppe außer Haus in mehreren Minijobs. Auch das ging oft über ihre Kräfte. Sie sollte später dann an 3  Tagen der Woche einige Stunden arbeiten, traute sich das aber nur an 2 Tagen zu. Alle Telefonate mit Außenstehenden wurden übrigens in der Gruppe vorbesprochen,  mit allen Eventualitäten.  Das Telefonat, in dem A dann mit dem Arbeitgeber  über eine Tätigkeit von nur 2 Tagen sprach, wurde von der selbst gehandicapten  „Älteren“  belauscht. Von ihr zur Rede gestellt, gebrauchte A eine Notlüge. Als dann aber die Wahrheit herauskam, warf man ihr  „Ungehorsam und Unwahrhaftigkeit“ vor, brandmarkte das als weitere „Sünde“ und  schloss sie aus der Holic-Gruppe aus.

Ein „Ausschluss“ ließ die Möglichkeit der Rückkehr zu, wenn man seine „Sünden“ bereute und ernsthaft „umkehrte“. Ob das der Fall war, entschied natürlich wieder die Gruppe, d.h. die tonangebenden Älteren. Schaffte man die Wiederaufnahme nicht, war man nach der Dogmatik der Gruppe (nur sie allein verkörpere die Gemeinde Jesu Christi) „verloren“ und kam in die Hölle. Hiervon tief geprägt gab es für A zur Rückkehr keine Alternative. Sie suchte sich ein möbliertes Zimmer in der gleichen Stadt. Ihre gesamten Einrichtungs- und Haushaltsgegenstände, die sie aus ihrer eigenen Wohnung vorher mitgenommen hatte, ließ sie im Haus der Gruppe, in der festen Annahme, dorthin alsbald zurückkehren zu können.  Um sie dalassen zu dürfen, also nicht gleich mitnehmen zu müssen, vermachte sie sie in schriftlichen Vereinbarungen der Gruppe. Nach ihrer definitiven Nichtrückkehr  zeigte man sich insoweit kooperativ.

A lebte nach dem Ausschluss, ohne dass wir Eltern von all dem  erfuhren, ca. 1 ½  Jahre  völlig isoliert entsprechend den Vorgaben des Gruppe (keine Kontakte gegenüber „Ungläubigen“, einschl. der Eltern) in kleinen möblierten Zimmern, versuchte, „Buße zu tun“, auch hinsichtlich ihres „sündhaften“ Schlafbedürfnisses, machte über ihre Kräfte gehende Arbeitsversuche, um den Anforderungen der Gruppe gerecht zu werden (all das ohne jegliche Begleitung) und unternahm ca. 6 schriftliche unterwürfige Versuche, in die Gruppe wiederaufgenommen zu werden. Alle, einschl. einer persönlichen Anhörung, verliefen negativ. Darüber  machte sich schließlich wieder ihre latente Krankheit bemerkbar.  Mit  entsprechenden ersten Anzeichen suchte A das betreffende Haus auf, um so ihre „gänzliche Umkehr“ unter Beweis zu stellen. Ein allein anwesender  „Älterer“ verwies sie erfolglos des Grundstücks und ließ dann die Polizei kommen, die A  zwangsweise abtransportierte und am Bahnhof des Stadtteils absetzte. Warum hat der „Ältere“ nicht veranlasst, dass die ihm ja gut bekannte A in ihrem schon verwirrten Zustand nun der Obhut eines Arztes oder einer Klinik zugeführt wurde?

Nach dieser  handgreiflichen „Abfuhr“ war bei A der Bann gebrochen. Nach 5  Jahren fehlenden Kontakts  rief sie bei uns Eltern an und setzte sich sogleich in den Zug. Die Freude des Wiedersehens war groß, eine „verlorene Tochter“ war  zu ihren Eltern zurückgekehrt. Leider  mussten wir gleich ihre stationäre Aufnahme veranlassen. Die Klinikbehandlung dauerte gut 7 Monate. Jahre der Bevormundung und Demütigung  erschwerten  eine  rasche Heilung. Nie zuvor, sagten die Ärzte, sei  sie „so tief unten“ gewesen. Wir Eltern sind dankbar, dass sie inzwischen auf dem Wege der Besserung ist.

 Umgang der Gruppe mit B

 A erlebte bei den regelmäßigen Gesamttreffen mit, wie die Holic-Gruppe an einem anderen Standort mit einer  jungen Frau (B) mit nicht unähnlichem Krankheitsschicksal umging. B hatte vor ihrem Eintritt recht „bunt“ gelebt, und die dortige Gruppe sorgte dafür, dass sie nunmehr eine 2-jährige Ausbildung machte, mit Erfolg. B traute sich indes nicht zu, später in diesem Beruf zu arbeiten, und wollte eine einfachere Tätigkeit ausüben, was die Gruppe ablehnte. Es war üblich, dass die Gruppe ( d.h. die „Älteren“) sich in solche Entscheidungen einmischte. B hinterfragte vieles und wurde immer wieder „ermahnt“. Entgegen der Doktrin der Holic-Gruppe wagte sie die Frage, ob es für ihre (freikirchlichen) Eltern  nicht doch noch Hoffnung vor Gott gäbe, dass sie nicht „verloren“ seien. Einen Monat nach ihrem Examen wurde sie daraufhin ausgeschlossen. Bei dem entsprechenden Gesamttreffen war A dabei und hörte, wie ein „Älterer“ B vorhielt: „ Nach Deinem chaotischen Leben haben wir Dir eine neue Chance geboten. Du hast sie nicht genutzt.“ B bekam einen  Weinkrampf, fand den Ausschluss aber „gerecht“. Sie weinte auch bei ihrem von der Gruppe unterstützten Auszug. Mehrere Versuche, wiederaufgenommen zu werden, waren erfolglos.. Wie A später erfuhr,  erlitt B nach der letzten Ablehnung einen seelischen Zusammenbruch  und musste wieder in die Psychiatrie.

 Fazit:

 Wie deutlich gemacht, „verhebt“ sich die Holic-Gruppe mit der Aufnahme psychisch Belasteter, die sich ja relativ leicht gewinnen lassen. Weder mit ihrer fundamentalistischen Doktrin, noch mit ihrer autoritären Struktur noch mit ihren personellen  Ressourcen  ist sie in der Lage, diesen Menschen, die vom Schicksal hart getroffen sind und deshalb in besonderem Masse Annahme und liebevolle Zuwendung (und keine Strafen!) brauchen, auch nur annähernd gerecht zu werden. Im Gegenteil: indem man sie, wenn sie sich nicht anpassen (können), abstraft und dann ausschließt und sie dabei „wie eine heiße Kartoffel fallen lässt“, stößt man sie in noch größeres Leid.    

Name und Adresse des Verfassers sind bekannt