Bericht einer Freundin über den Sektenbeitritt von Beate

(Namen und Daten geändert; Sachsen, Anfang der 90er Jahre)

7.3.: Beate, wie sie früher war

Ich kenne Beate schon seit ungefähr der dritten Klasse, wir gingen gemeinsam in die Christenlehre, später auch in die Kurrende. Doch so richtig kennen gelernt habe ich sie in der 10. Klasse, als wir gemeinsam eine Leistungsklasse besuchten. Beide interessierten wir uns für die Bibel und gingen gemeinsam in die Kirche; wir haben uns oft darüber unterhalten, und ich muss sagen, dass Beate zwar viele unbeantwortete Fragen, z. B. "Was macht einen Christen aus?" und "Was ist der Sinn in meinem Leben?" hatte, aber sich nicht so schnell von anderen überzeugen ließ.

Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, Beate hatte keine so richtige feste Freunde; sie galt bei vielen als ehrgeizig, fast zu ehrgeizig in der Schule. Doch mochten sie auch viele, z. B. Freunde aus der Jungen Gemeinde.

Beate, so hat sie es mir selber einmal erzählt, hatte öfter auch ab und zu einmal Depressionen gehabt, die aber von einer zur anderen Minute schlagartig zur guten Laune wechseln konnten. Oft war sie sehr traurig, bald wieder froh. Ich glaube, dass die traurigen Momente eher Zweifel und Nachdenken über die Bibel, Gott und sich selber waren als anderer Kummer. Sie selber sagte mir, sie "sei noch auf der Suche."

Beate war ein sehr freundlicher, sensibler und emotionaler Mensch. Sie hat oft jemanden gefragt, wie es ihm geht und Hilfe angeboten. Sie hat sich auch in der Kirche an vielen Aktionen beteiligt; erst kürzlich war ich mit ihr in der Kirche, als russische Soldaten eingeladen wurden. Auch russische Kinder wurden mitgebracht. Und sie hatte die Idee aufgebracht, ein paar russische Mädchen mit in unsere Schule zu nehmen. Das haben wir dann auch gemacht ...

Sie hat mich auch einmal gefragt, warum sie jetzt noch im Gymnasium in der 11. Klasse ist. Alle diese theoretischen Dinge würden ihr im praktischen Leben doch nichts nützen.

Beate war immer sehr freundlich, sie umarmte einen auch einmal, wenn ihr danach zumute war.

Januar/Februar: Beate vor den Ferien

Beate weint öfter, hat abgenommen und ist aber sonst freundlich. Mädchen aus ihrer Klasse haben mir erzählt, dass sie im Unterricht melancholisch wirkt. Sie zeigt aber noch Interesse an der Schule, redet normal mit ihren Freunden und kommt in unsere Junge Gemeinde.

3. 3.: Beate nach den Ferien

Beate spricht mich an: "Was verstehst du darunter, Christ zu sein?" Ich bemerke noch nichts Unnormales, weil sie mich oft so etwas gefragt hat. Doch die Pause ist zu kurz, wir treffen uns noch einmal. Jetzt fällt mir auf, dass sie monoton, leise und irgendwie fanatisch spricht. Sie lässt sich nicht von ihrer Meinung beirren; duldet keine andere Meinung. Sie ist zwar noch freundlich, aber es fehlt die Wärme. Sie sagt mir, sie hätte nun "richtige Christen" getroffen und lädt mich ein, dahin mitzukommen. (Ich stimme zu.) Ich frage sie etwas über die Gruppe. Sie erzählt mir, dass die Gruppe sich in einem Kleinbus trifft und dann nach Radeburg fährt. Sie treffen sich jeden Tag, denn "Was ist das für eine Gemeinde, die sich nur einmal in der Woche trifft?". Ich erfahre, dass sie auch andere angesprochen hat, aber keinen weiteren eingeladen hat. Nachmittags treffen wir uns, und ich erzähle, dass ich nicht bis um elf (so lange dauert es) einfach so wegbleiben darf und auch die Leute nicht kenne, darum nur mit ihr mitfahre. Einfach so, damit wir zusammen reden können. Die Unterschiede zu unseren sonstigen Gesprächen sind: sie ist nicht fröhlich (natürlich war sie früher auch ernst, aber nicht so wie an diesem Tag), sie lässt meine Meinung nicht gelten, jeder zweite Satz ist aus der Bibel.

Sie liest mir einige Stellen aus der Bibel vor, ist nachdenklich.

Als wir uns trennen, ist sie freundlich, lächelt sogar zum Abschied.

Ich hatte vorher ihre Mutter angerufen. Sie war ganz schön verzweifelt und bat mich, nicht den Kontakt mit Beate zu brechen. Sie sagte auch, dass sie schon mal bei den Leute war. Sie meint, es wäre eine Sekte, man darf aber diesen Begriff Beate nicht sagen.

4.3.

(Ich habe mir natürlich über das Gespräch von Dienstag Gedanken gemacht. Meine Beobachtungen ihres Aussehens bestätigen sich heute.)

Beate kommt vorbei. Erst in letzter Sekunde besinnt sie sich, und zögernd sagt sie "Guten Morgen".

Sie sieht schlecht aus; sehr schmal geworden, hektischer Gang, traurig-melancholischer Ausdruck im Gesicht, (später bemerkt) sehr große Pupillen. Mädchen aus der Klasse erzählen mir, dass sie keine Antworten im Unterricht gibt, auch sonst niemandem antwortet, nur verschiedene Leute anspricht und mit ihnen über die Bibel redet. "Mit ihnen" kann man kaum sagen - sie lässt keinen zu Wort kommen; Sie redet leise, aber eindringlich auf einen ein, ohne Wärme; ihre Stimme ist anders als früher.

Viele, die sie angesprochen hat, sind erschrocken und schockiert - von ihrem Aussehen und Verhalten. Ich weiß nicht, "wie sie aussucht": aber manche, die sie vorher kannte, meidet sie, mit anderen redet sie noch.

5./6.3.

Alle möglichen Leute fragen mich, was mit Beate "los" ist. Es kommt aber zu keinem richtigen Gespräch mit Beate. Ich erfahre aber, dass sie im Unterricht etwas Interesse zeigt, auch Leute angesprochen hat, die sie vorher gemieden hat. Natürlich geht es nur um das eine Thema. Sie versucht, die Leute zu überreden, dass es nur einen Weg gibt, um gerettet zu werden, und zwar Jesus Christus nachzufolgen. Man muss sich für Gott entscheiden - alles andere wie Hobbys, Familie u.a. vermeiden. "Man verschwendet damit nur Zeit, die man Gott widmen könnte"...

10.3.

Beate war wieder "kühler", abweisender, und Mädchen aus der Klasse sagen mir, sie hätte im Deutschunterricht mit dem Lehrer diskutiert über das Thema "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst - ideale Grundlage menschlichen Zusammenlebens". Herr Kleiber (der Lehrer) sah in "Nächstenliebe" Humanismus. Beate sah darin ein Gebot von Gott und sie wollte die andere Meinung nicht gelten lassen.

11.3.

Als ich Beate das erste Mal treffe, ist sie nicht mehr so abweisend wie gestern. Sie geht auf mich zu und fängt ein Gespräch an. Wir kommen darauf zu sprechen, dass der einzige Weg über Jesus Christus gehen kann (Beate). Ich sage zu ihr: "Da bin ich auch deiner Meinung, aber Jesus hat Liebe und Wärme ausgestrahlt; er ist auch zu ‚bösen' Menschen gekommen." Ich spreche das Beispiel mit dem Zolleinnehmer an, den Jesus besucht und welcher ihm dann verspricht, unrecht erworbenes Geld mehrfach zurückzuzahlen. Sie sucht es in der Bibel, denkt nach. In der nächsten Pause kommt sie und sagt: "Ich muss mich bei dir entschuldigen, weil ich über etwas geredet und nach etwas gehandelt habe, was ich selber noch nicht ganz verstehe." (Sie spricht von ihrer Abwendung zu anderen.) Sie ist freundlicher als zuvor, aber wirkt trotzdem nicht "normal". Mir fallen wieder die großen Pupillen auf. Nachmittags besuche ich sie; sie schaut freundlich, und ich sage ihr viele Grüße von einer alten Frau, die wir früher zusammen immer besuchten, zu der sie jetzt aber nicht mehr geht. Sie lächelt!!! Ich sage zu ihr: "Beate, egal, ob unsere Meinungen verschieden sind und ob wir vielleicht verschiedene Wege gehen, ich mag dich trotzdem und ich hoffen, du wendest nicht von mir ab." Sie lächelt wieder (!!!!!) und bittet mich herein. Wir reden. Wichtig ist für mich weniger das Gespräch, als ihr Verhalten. Sie lächelt (nicht gezwungen, sondern liebevoll) beim Reden, wirkt entspannt und sieht nach langer Zeit glücklich oder anders gesagt "gut" aus. Sie redet zwar eindringlich und bestimmt, aber nicht unfreundlich auf mich ein. Wenn ich sie so sehe, finde ich, dass sie sich wirklich dort wohlfühlen muss und ich glaube nicht, dass sie je anders werden wird. So wie sie jetzt ist, wirkt sie zwar fanatisch, aber nicht krank! (Seelisch wie körperlich) Ich frage sie nach der Haltung zu den Eltern (ich halte mich allgemein), die diesen Weg nicht mitgehen. Ich meine, abweisend sollte man nicht sein, denn dann verstößt man ja auch gegen das Gebot "Liebe und ehre deine Eltern". Beate sagt zwar, dass sie sich abwenden muss (Sie wendet sich ab aus Liebe, damit die Eltern aufgerüttelt werden und den richtigen Weg erkennen), aber wenn die Eltern Hilfe brauchen, hilft sie natürlich. Sie ehrt ihre Eltern weiterhin.

Ich habe lange nichts mehr über Beate aufgeschrieben - ich muss gestehen, dass ich das Gespräch mit ihr meide, weil ich Angst davor habe. Ich weiß, dass ich wieder Schuldgefühle bekomme, vielleicht bin doch ich es, die sich irrt - so denke ich, wenn ich mit ihr zusammen bin. Sie erklärt und argumentiert so gut, dass ich keinen Ansatzpunkt finde, ihr zu widersprechen, denn sie kann alles widerlegen. Beate ist sehr nett zu mir. Einmal wollten wir uns treffen (sie hat mich angesprochen). Sie fragte mich, ob wir nicht einmal miteinander reden wollten. Sie fragte mich, wo wir uns treffen wollten, bei ihr oder bei mir. Ich schlage vor, uns bei ihr zu treffen. Nachmittags rief sie mich an und sagte, sie wolle mich abholen. Es kam mir schon komisch vor, aber ich willigte ein. Doch sie erschien nicht zur ausgemachten Uhrzeit, so rief ich an. Sie entschuldigte sich, sie hätte Besuch gehabt und würde sofort losgehen. Ich sagte, ich würde auch schon losgehen, damit wir uns in der Mitte des Weges treffen. Zögernd stimmte sie zu.

Ich sah sie von Weitem komme, sie blätterte noch in der Bibel, als sie über die Straße ging. Sie lächelte, als sie mich sah, grüßte und schlug bestimmt eine Richtung ein, die aber nicht zu ihr nach Hause führte, wo wir ja eigentlich hin wollten. Ich wollte sie nicht danach fragen, weil ich gemerkt hatte, wie ungern sie über "Belanglosigkeiten" sprach, und weil ich anfangs dachte, wir könnten ein bisschen spazieren gehen. Sie fing das Gespräch an. Wir sprachen über die Junge Gemeinde, die nach ihrer Meinung eigentlich keine ist, über Hilfe, die eigentlich keine ist, wenn man nur körperlich jemandem hilft und ihm "das Beste", nämlich die Botschaft Jesu Christi vorenthält. Und wir sprachen über Zweifel an Gott, die nach ihrer Meinung große Sünde sind, und die ein Christ nie haben dürfe. Ich antworte ihr, jeder Christ ist auch nur ein Mensch und hat Fehler. Zweifel gehören dazu, jeder zweifelt und schön ist es, wenn man die Zweifel überwinden kann. Sie sagte aber, wenn man ganz genau nach der Bibel lebt, kann man keine Fehler machen. Ich sagte, dass Gott uns doch aber mit unseren Fehlern erschaffen hat, sonst wären wir doch keine Menschen...

Wir kommen auf ihre Abwendung zu Nichtchristen, zu den alle Menschen - außer die in der Sekte - zählen, zu sprechen. Sie sagt, in der Bibel steht, dass man sich von jenen abwenden muss. Ich sage zu ihr, ob denn ein Christ nicht tolerant sein muss, alle Menschen als Geschöpfe Gottes ansehen soll. Sie sagt nach einigem hin und her: "Nein, ein Christ muss intolerant sein."

Inzwischen habe ich von ihr wie nebenbei erfahren, dass wir zu ihrer Gruppe fahren. Ich sage: "Ich denke, wir wollten zu dir?" Sie antwortet: "Du wolltest doch schon immer mal mit dorthin kommen. Warum nicht heute?! Doch ich will dich nicht zwingen!" Ich sage ihr, dass ich nicht mitkomme, schon aus dem Grund, weil ich gar nicht gegen sie, geschweige denn gegen 20 andere, so in der Bibel bewanderte Leute argumentieren kann.

Sie schaut mich verwundert an, dass ich die Sache von dieser Seite betrachte. Wir verabschieden uns und sie sagt: "Überleg' es dir noch einmal und denke darüber nach!"

Und ich gehe weinend nach Hause

23.6.

Ich komme nicht mehr an Beate heran. Sie ist jetzt wieder abweisender. Ich habe Angst vor ihr, möchte ihr aber gerne helfen.

(Der Name der Verfasserin ist dem Herausgeber bekannt.)

Eine Mitschülerin beschreibt
die Erfahrungen mit Beate folgendermaßen (1992):

Als wir unsere Mitschülerin Beate vor ca. 12 Wochen nach den Winterferien wiedersahen, bemerkten wir recht gravierende Veränderungen an ihr. So fiel uns beispielsweise ihre psychische Labilität (häufiges Weinen und totale geistige Abwesenheit) und ihr ständiges Lesen in der Bibel auf. Wir wussten, dass Beate Christin ist und betrachteten dieses ständige Lesen aber mit Verwunderung.

Da wir Beate als sehr aufgeschlossenes, fröhliches und engagiertes Mädchen kannten, spürten wir diesen Wandel umso deutlicher. Beate war schmal geworden, sah erschöpft und müde aus und sprach, wenn sie etwas sagte, mit leiser, monotoner Stimme. Ihre ganze äußere Erscheinung, besonders der leere in die Ferne gerichtete Blick, ließ erkennen, dass Beate geistig in einer ganz anderen Welt zu leben schien. Da sie in den ersten Tagen einen so verzweifelten Eindruck auf uns machte, fragten wir sie natürlich, was mit ihr los sei, und ob wir irgendwie helfen könnten. Die Antwort lautete: "Ihr könnt mir nicht helfen." Die Versuche, Gespräche über belanglose Dinge zu beginnen, wurden ihrerseits immer abgeblockt. Wenn Beate mit uns redete, sie sprach uns dann an, handelte es sich immer nur um das Thema Gott und unsere Beziehung zu ihm.

Beate schien uns, seit wir sie kennen, als sehr ehrgeiziges Mädchen, das sehr selbstkritisch ist. Wenn sie etwas anpackte, führte sie die Sache auch mit Engagement und eisernem Willen zu Ende. Wir schätzten außerdem an ihr, dass sie sich sehr für andere Menschen einsetzte, z. B. in der Klasse kassierte sie Essen- und Milchgeld und kümmerte sich um die Karten für Schülerkonzerte, was sei auch heute noch macht!

In den Gespräche mit ihr kam eine deutliche Intoleranz gegenüber Andersdenkenden zum Ausdruck. Wir waren geschockt und ratlos.

...

Auffällig waren auch die Treffs mit Leuten ihrer Gruppe während der großen Pause.

...

Zur jetzigen Situation wäre folgendes zu sagen: Beate liest regelmäßig in jeder Pause in der Bibel, führt öfters Gespräche mit anderen über ihr Thema Gott. Sie nimmt die Schule sehr ernst, erledigt immer alle Hausaufgaben, arbeitet im Unterricht mit, ist jedoch teilweise etwas verschusselt und unkonzentriert, was sicher ihre ständige Übermüdung zur Folge hat.