Bericht einer Pastorin über Werbeaktivitäten in der Jungen Gemeinde (1992)

Diesen Bericht hat sich die Betroffene (im Text "Monika" genannt) noch einmal Jahre später durchgelesen. Ihre Anmerkungen sind andersfarbig mit eingefügt. Die Namen wurden geändert, sind aber bekannt.

Aus unserer Kirchgemeinde St. Marien D. ist Monika Kleine, 21 Jahre, in unserer Gemeinde die Leiterin der Jungen Gemeinde, in den Bann dieser Sekte gezogen worden. Der Kontakt ergab sich folgendermaßen: Monika war seit längerer Zeit "auf der Suche nach der Wahrheit" (alles in Anführungszeichen Gesetzte sind wörtliche Zitate der Betreffenden).

spätere Anmerkung von Monika: Dieses Zitat stimmt so nicht! Ich war nicht auf der Suche nach der Wahrheit, vielmehr auf der Suche nach einer engeren Gemeinschaft, einer Gruppe junger Leute, die mich im Glauben stärken und die mir Freunde sind. Eine solche Gemeinschaft fand ich zur damaligen Zeit nicht in meiner Kirchgemeinde und nicht in R. So fragte ich nach dem Jugendgottesdienst einen Mitarbeiter nach einem Jugendkreis, in den ich gehen könnte. Der Mitarbeiter tat sich sehr schwer damit, und im anschließenden Gespräch mit einer Frau der Holicsekte kam dann sinngemäß heraus: Jeder Christ müsste sich doch nach Gemeinschaft sehnen und jeder christliche Kreis offen sein, mich aufzunehmen.

In unserer Kirchgemeinde habe sie das nicht gefunden, dann habe sie Kontakt gehabt zu einer Jugendgruppe in R., aber das habe ihr auch nichts gebracht. Ihre Suche sei weitergegangen in der Dresdner Annenkirche, wo regelmäßig größere Jugendgottesdienste gehalten werden.

Monika hatte sich nach einem solchen Gottesdienst vorgenommen, sich mit einem der .Mitarbeiter über ihre Probleme auszutauschen. Während sie auf ihn wartete, kamen zwei junge Mädchen zu ihr und fragten sie, warum sie da noch sitze. Nach ihrer Auskunft antworteten sie ihr: "Was da hast du erst einen fragen müssen, ob er dir bei der Klärung von geistlichen Problemen hilft? Da hat er sich nicht von selbst angeboten? Christen bieten sich da von selbst an!"

Das war der erste Kontakt. Seitdem lebte sie einige Zeit ein Doppelgängerleben: Halb Kirchgemeinde, halb "die Gemeinde in Dresden". Da wir bis vor kurzem immer sehr guten Kontakt hatten, besprach sie vieles von dem dort Erlebten noch mit mir. Nach einem ersten mehrstündigen Gespräch blieb bei mir der Eindruck zurück: viele Wahrheiten erkannt, mit der Ungeduld der Jugend das Himmelreich herbeizwingen wollen (,,Frau Pastorin, wenn Sie mir heute versprechen, dass wir in der Kirchgemeinde so wie dort täglich als Gemeinde zusammen zu leben, dann komme ich zurück.") Verlorengehen aller Lebensfreude (Man muss alles lassen."). Vollkommenheitsideal für die Gemeinde ("Reinigung der Gemeinde von Sündern") "Wir werden uns vor Gott beim Jüngsten Gericht verantworten müssen! Wie wollen wir dann bestehen?" Die Tatsache der Erlösung durch Christus tritt völlig in den Hintergrund. Davon habe ich sie noch nie sprechen hören.

Ein nächstes einschneidendes Erlebnis war, dass Monika, nachdem sie einige Wochen nicht zu unserer Bibelstunde gekommen war, plötzlich mit den beiden jungen Mädchen zu diesem Abend kam. (Geschätztes Alter: ebenfalls Anfang 20)

Nach wenigen Minuten nahmen die beiden das Heft in die Hand beim Bibelgespräch. Sehr deutlich wurde mir, dass ich Redewendungen, die ich von Monika bereits gehört hatte, dort zum zweiten Male hörte. Zwei zentrale Aussagen der beiden an diesem Abend:

· Die Bibelstellen, dass man andere nicht richten solle, seien immer wieder falsch verstanden worden. Christen müssten sehr wohl beurteilen, ob die, die sich Christen nennen, auch welche seien.

· Wer es nicht schafft, sich täglich mit der Gemeinde zum Bibellesen zu treffen, ist kein richtiger Christ. (Kinder müssen für die Zeit eben untergebracht werden. - Auf den Protest einer jungen Mutter aus unserer Kirchgemeinde hin erzählten sie, dass es die jungen Familien bei ihnen auch schaffen würden. D.h. also, dass scheinbar auch junge Familien zu dieser Sekte gehören.

Weitaus schlimmer als alle Argumente wirkte auf mich und alle anderen Teilnehmer unserer Bibelstunde die Atmosphäre, die von ihnen ausging. Während sich sonst ein angeregtes Gespräch entspinnt, saßen nach einer Weile alle verstummt und sichtlich bedrückt da. Etwas Angstmachendes, nicht zu Erklärendes legte sich wie ein dunkler Schatten auf die Seele.

In der Woche darauf besprach ich mich mit allen Teilnehmern der Bibelstunde darüber, wie sie den Abend empfunden haben. Einschätzungen lauteten z. B. folgendermaßen:

  • "unbarmherzig, lieblos, hart, kalt
  • geistliche Überheblichkeit
  • Die Art und Weise, wie sie mit der Bibel umgehen, ist fast wie bei den Zeugen Jehovas.
  • Was sie sagen, ist völlig lebensfremd und abgehoben. Die schweben in irgendwelchen Höhen. Aber die haben eben wahrscheinlich die Realitäten des Lebens noch nicht erlebt."

Was mir auch Angst machte, war, dass Monika an diesem Abend kein einziges Wort verloren hatte.

Das alles hat mich aber noch nicht an eine Sekte denken lassen, sondern eher an eine radikal-pietistische Gruppe, wie sie ja in Dresden aus dem Boden schießen.

Mach einiger Zeit hielt Monika einen Abend in der Jungen Gemeinde, wo sie versuchte, ihre "Erkenntnis" den Jugendlichen zu vermitteln;

"Es ist nötig, dass ihr von der Finsternis ins Licht durchdringt. Das geschient, indem ihr euer Leben Jesus ganz übergebt - nicht nur stückweise - Jesus muss euch ganz ausfüllen. Es gibt nur eine ganz schmale Pforte von der Finsternis ins Licht hinüber. Da passt man nur hindurch, wenn man alles abwirft, was man noch an Lasten mit sich herumträgt. Und ihr habt noch so viele 'Rucksäcke'. Das Schminkzeug kann man da z.B. nicht mitnehmen und eure ganzen Hobbys."

Nachdem sie merkte, dass sie ihre ''Erkenntnis'' nicht vermitteln konnte, weil die Jugendlichen ihr ihre Meinung vom christl. Leben entgegenhielten, brach sie in einen Weinanfall aus. "Nun, ich merke schon, dass ich euch das nicht rüberbringen kann. Ich werd' auch keine Junge Gemeinde mehr halten. Aber ich wollte es euch nur gesagt haben, weil wir uns doch einmal beim Jüngsten Gericht verantworten müssen."

Beobachtbar ist, dass sie sich für das Seelenheil anderer, die ihr am Herzen liegen, verantwortlich fühlt. ("Ich muss bei der Dresdner Gemeinde bleiben. Ich will meine Eltern retten. Die geistliche Kraft dazu finde ich nur dort.")

Beobachtbar ist auch der für Jugendsekten so typische nervliche Verfall. Gequältes Weinen kam vor allem in der Anfangsphase vor. (Bei ihrer Schwester, Veronika Kleine, 19 Jahre, Lehrling, die sie in letzter Zeit öfter mitgenommen hatte, begann es genauso:

Mitten im Blasen im Posaunenchor brach sie ohne jeden Anlass in lautes Schluchzen aus: "Ich würde jetzt so gerne bei der Gruppe von der Monika sein. Aber nun muss ich hier blasen.") Im Moment sieht man ihnen an, dass sie total übernächtigt sind. Sie haben wahnsinnige Augenringe. Erklärlich durch den Stress, dem sie unterzogen werden.

An jenem Abend nach der Jungen Gemeinde z.B. begleitete ich Monika noch durch die Stadt nach Hause. Es war 21.30 Uhr, und da standen die beiden jungen Mädchen und ein mir bis dahin noch unbekannter Mann schon vor der Haustür und. nahmen Monika in Empfang. (Und das, wo sie in ihrem Beruf immer mitten in der Nacht aufstehen muss.) Inzwischen macht Monika bei Gesprächen einen sehr abwesenden Eindruck .

Nach Ihrem Anruf gestern fuhr ich zu Kleines, um sie zu informieren. Dabei traf ich dann auch auf Monika und Veronika. Mit Veronika habe ich noch argumentativ reden können. Sie war erschrocken darüber, will keinen Kontakt mehr zu der Sekte halten und war auch gestern abend wieder in der Jungen Gemeinde. Bedenken habe ich aber doch noch, weil sie wohl eine Art "Entzugserscheinungen" hat: "Aber dort in der Gruppe war das doch noch alles anders. Die leben doch wirklich genauso, wie es in der Bibel steht, (ganz zentrale Bibelstelle für die Sekte: Apg. 2, 37-47) hier ( in der Jungen Gemeinde ) kommt mir alles so 'leer' vor. Dort war einer für den anderen da. Da waren wir so eine richtige enge Gemeinschaft. Und Sie können mir ja auch nicht einmal eine Bibelstelle nennen, wo die Gruppe etwas gegen die Bibel macht."

Tatsächlich sind sie inhaltlich nicht sehr konkret zu fassen. Es scheint alles so fromm und in Ordnung. Stutzig gemacht hatten mich ja auch weniger die Inhalte (obwohl man da eben auch merkt; dass die Bibelstellen alle nach einem bestimmten Schema ausgesucht sind), als vielmehr die beängstigende psychische Veränderung. Die Alarmglocke läutete bei mir ebenfalls, als ich hörte, dass die Gruppe aus Österreich/ Ungarn komme, d. h. als ich mitbekam, dass eine größere Organisation dahinterstehen müsse und als Monika davon sprach, dass Gütergemeinschaft und gemeinsames Wohnen angestrebt seien. Das gemeinsame Wohnen wäre gut, weil man die tägliche Gemeinschaft da besser verwirklichen könne. Mit dem Geld sei es so, dass jeder ein eigenes Konto behalten könne, aber wenn etwas gebraucht werde, würden sie dann alle eine Spende geben. (Was das 'etwas' ist, was da z. B. gebraucht werden könne, habe ich leider nicht gefragt.)

Monika war gestern mit Argumenten nicht mehr zu erreichen. Es trat genau das ein, was Sektenfachleute mir voraussagten: Kritik wird als ein Zurückziehen in die Finsternis betrachtet. "Es ist gar nicht wahr, dass mich die drei nach der Jungen Gemeinde in die Klemme genommen haben. Sondern das Gespräch hat mir richtig gut getan. Es ist gar nicht wahr, dass sie mich nervlich fertig machen. Ich seh' nur so aus, weil ich jetzt erkältet bin. Es ist gar nicht wahr, dass ich an einem Wochenende auch gern einmal etwas für mich machen will. Ich brauche das einfach alles nicht mehr. Ich habe jetzt alles gefunden, was ich brauche. Es macht mir Freude, jedes Wochenende mit den anderen wegzufahren, um neue Gemeinden zu gründen."

Anmerkung: Ich weiß nicht, ob ich da wirklich gesagte habe: „... um neue Gemeinden zu gründen." Mir ging es nie darum, neue Gemeinden zu gründen, eher hätte mich so etwas stutzig gemacht. Diese Wochenendfahrten erlebte ich als ein internationales Kennen lernen mit Wandern und vielen Gesprächen rund um mein Ergehen und um die Bibel.

Als allerletztes Mittel haben wir gestern versucht, auch einen psych. Trick anzuwenden. Wir haben ihr gesagt, dass sie uns ja auch nicht mehr beweisen könne, dass sie ohne die Gruppe noch leben könne.

Anmerkung: Ich wollte ja auch nicht mehr ohne die Gruppe leben. Der psych. Trick lag eher darin, dass mein Vater mir sagte, ich wäre nicht frei; ich könne nicht selber über mein Leben verfügen, nur die Gruppe. Er erinnerte mich an meine eigenen Worte: „Ich will am liebsten Ruhe haben und alles ganz allein (mit Gottes Geist) prüfen." Er forderte mich auf, ihm zu beweisen, dass ich noch frei über mein Leben entscheiden und darum das nächste Wochenende tun könne, was ich zu ihm gesagt habe. Hier stand ich tatsächlich in einer Zwickmühle, und ich begann zu ahnen, dass mein Vater in diesem Punkt Recht hatte. Das Gespräch mit meinem Großvater sollte ich suchen; so fuhr ich zu meinem Großvater und war vor dem Zugriff der Sekte sicher. Als ich wieder nach Hause kam, hatte ich Zeit, alles in Ruhe zu prüfen. Das war für meine weitere Entwicklung die wichtigste Zeit.

Wenn sie es könne, solle sie doch dieses Wochenende mit den Eltern zum Großvater fahren. (- der sonst immer der war, mit dem sie noch am besten reden konnte) Nach längerem hin und her wollte sie diesen Vorwurf, dass sie ohne die anderen nicht mehr sein könne, nicht auf sich sitzen lassen und hat sich breitschlagen lassen, an diesem WE mit den Eltern wegzufahren. Ob diese zwei Tage als 'Entziehungskur' reichen, ist mir sehr fraglich, aber immerhin noch eine letzte Möglichkeit, die man wenigstens versucht haben sollte.

Später hat Monika - wie schon in der obigen Anmerkung angedeutet - die Sekte verlassen.
Die Pastorin hat auch noch eine Auflistung der Bibelstellen versucht, die von der Gruppe in der Werbung gern verwendet werden.