Bericht eines ehemaligen Mitgliedes der Gruppe (1989)

Vor Ihnen liegt der Versuch, mit einem persönlichen Bericht Einblick in das Entstehen und Leben der als "Wahre Christen" bezeichneten Jugendgruppe zu geben.

Dies ist nur möglich, weil ich selber über drei Monate dazugehörte. Ich versuchte nun, Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen aus dieser Zeit in Form eines Tagebuches wiederzugeben. Dabei ging es mir insbesondere darum, Gründe herauszustellen, warum ich in diese Gruppe geriet und zu zeigen, aus welcher Sicht Mitglieder die Welt sehen. Eingeschoben habe ich einige zusammenfassende Passagen.

Kurz noch zu mir: Ich heiße Kathrin Müller (Name geändert, dem Herausgeber bekannt), bin 22 Jahre alt und Laborassistentin (Beruf leicht geändert). Offiziell gehöre ich zur Evangelischen Landeskirche, wurde aber in der Evangelischen Freikirche heimisch. Die o.g. Gruppe lernte ich vor einem Jahr während des Taizétreffens in Pecs (Ungarn) kennen.

Tagebuch

Heute traf ich einen netten jungen Mann. Er predigte Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Dabei nahm er sich kein Blatt vor den Mund und sprach von der persönlichen Umkehr. Mir gefiel sehr gut, dass er bei sich selbst angefangen hatte und sein Leben neu ausrichtete.

Na, aber trotzdem Vorsicht, letzten Endes wieder eine Sekte, hinter der doch nur das Geld steckt ... aber kennen lernen möchte ich diese Leute doch. Vielleicht sind es Christen, die viel Interessantes wissen?

Nächster Tag

Wir haben uns viel unterhalten. Die Themen haben mich sehr beschäftigt, selten trifft man Menschen, die so klar nachdenken und gut Bescheid wissen. Einige von ihnen haben auch eine freundliche, unkomplizierte Art und ihr Österreicher Dialekt und Charme sind richtig nett.

Wahrheit des NT, Einheit der Christen, Feindesliebe, soziale Bedingungen unter den Christen, Gemeinde, Gebote ...

Die Leute meinen, wer gläubig ist, wird ganz selbstverständlich in der Gemeinde arbeiten wollen, sogar bis dahin, wie es wohl die ersten Christen taten, auch alles Hab und Gut miteinander zu teilen, in allen Lebenslagen zueinander zu halten. Gemeindeleben ohne Sündenbekennen und Vergeben gibt es nicht. All dies konnten die Leute anhand der Bibel genau aufzeigen. Ich staune über ihren tiefen Einblick.

Da ich sowieso nach Budapest wollte, nahm ich ihr Angebot an, mit ihnen zu fahren.

Tags darauf

Die Österreicher haben ganz eifrig mit Ungarn und auch Deutschen über den Glauben gesprochen. Ein gutes, hilfsbereites Team sind sie.

Bei vielen Gesprächen kam raus, dass die oft gläubigen Partner oberflächlich mit ihrer Mitschuld an der zugegebenen falschen Kirchenpolitik, ..., ... umgehen.

Viele wollten einfach nur nicht die Konsequenzen für ihr eigenes Verhalten tragen. Da sind die Österreicher ehrlicher.

Die Wohnung in Budapest ist eher eine vernachlässigte Absteige. Darauf legen sie wenig Wert, da sie ständig anderes tun. Das gefällt mir nicht so sehr. Ansonsten ist ihr einfacher Lebensstil positiv, eigentlich der beste Umweltschutz, auch eine Hilfe, die Güter als Geschenke Gottes zu betrachten.

Nach wenigen Tagen intensiven Kennen lernens hatten mich die Leute durch ihre Lebenshaltung überzeugt: Mein bisheriges Christsein (ich entschied mich mit "18" für Jesus, obwohl meine Eltern mich nicht christlich erzogen) ist null und nichtig. So wurde ich dort auf eigenen Wunsch zum zweiten Mal getauft.

Der nächste Schritt war dann für mich, ganz in dieser Gruppe zu leben. Welche Gedanken bewegten mich?

... Es ist wunderbar, wie das Leben der ersten Christen, z. B. aus Apg. 2,37-47, Gegenwart wird. Wir möchten Gottes Gemeinde bauen und das ist das schönste Ziel, was es gibt. Es ist ja möglich, als Christ ohne die falschen Traditionen der Kirche zu leben; wir erfahren es in unserer Gruppe immer neu. So kann es nur am Egoismus liegen, wenn die meisten Menschen dies nicht tun, sie sind nicht bereit, Härten und Verzicht dafür in Kauf zu nehmen. Dafür habe ich doch aber so viele neue Werte und Freuden bekommen, dass ich eigentlich reich beschenkt bin. Wir vertrauen so aufeinander, dass es beinahe besser als in einer riesigen Familie ist.

Das war in Ungarn. Nachdem ich in der Heimat mit der Gruppe aktiv wurde, dauerte es nur wenige Wochen und ich "verlor" alle Menschen, die mir lieb geworden waren: Eltern, Freunde, Kollegen, die Jugendlichen der Brüdergemeinden und ich war bis auf die Gruppe völlig isoliert.

Langsam wurde mir klar, wie hochmütig und lieblos sich unsere "christliche Supergemeinde" tatsächlich verhielt. Besonders habe ich den Menschen zu danken, die sich, obwohl ich ihnen Kritiken ins Gesicht schleuderte, gerade in dieser Zeit noch um mich kümmerten, mir dies vergeben konnten, für mich beteten. Durch ihr Zeugnis, aber auch, da mein eigenes Gewissen plötzlich wieder erwachte, gelang es mir immer mehr, meinen falschen Weg zu erkennen und zu bereuen, die Bibel plötzlich ganz neu zu lesen.

In dieser Zeit versuchte die Gruppe, natürlich um Sorge aus meine Errettung, mich zurückzuholen und dabei ging es mir nicht allein so mit den Zweifeln. Andere wurden in ihrer Meinung wieder vom fester stehenden Stamm überzeugt. Die kleinsten Gedanken wurden bis ins letzte ausgewertet, zerredet, rational fehlten mir oft die Argumente, aber ich wusste nur, Gott fragt nicht nach Argumenten, sondern der Glaube allein und die Demut vor allen Menschen sind entscheidend. Alle Geborgenheit der Gruppe kehrte sich nun ins Gegenteil um.

Aus dieser Zeit:

Eine Freundin und ich, wir hatten unsere Beziehung zur Gruppe schon geändert. Wir bekamen österreichischen Besuch, zwei nette Jugendliche, die bepackt mit einem elfseitigen Brief aller an uns kamen. Nun wurde über eine Woche diskutiert.

Es war für mich nicht nur eine Hinterfragung, sondern auch eine harte Geduldsprobe, ihnen dennoch mit Liebe zu begegnen.

Nie wurde direkter Druck (Drohungen, Gewalt, Verbote, Erpressungen usw.) ausgeübt, sondern alles ging um die Bibel. Deshalb glaube ich auch, dass die Leute der Gruppe selbst gläubig sind. Sie würden nicht mit unfairen Mitteln arbeiten, aber ihre Bibelsicht hat sie zu der Konsequenz geführt, überall auszutreten. Ein Christsein ist für sie nur möglich in radikaler, ständig dynamischer und frühchristlicher Art.

Ständig wurden wir in dieser Zeit von ihnen mit Bibelstellen der Art belegt, dass Irrlehrer nur werden können, die arge Sünder sind (Röm 16,17; 2 Joh 9,11). Damit kann natürlich jeder alles mögliche ablehnen. Sie wollten uns damit aber unter Druck setzen, dass wir uns schuldig gemacht hätten durch unser Verhalten, und deshalb nun in Zweifel geraten sind. Es ging so weit, dass ein Bursche meinte: "... es wäre besser, Bibeln nicht frei zu verkaufen, damit nicht jeder sie verdrehen könne." Dort habe ich stilles Beten und Ausdauer gelernt. Der geistliche Druck (nicht mehr zu ihnen zu gehören, bedeute automatisch, Jesus und die Ewigkeit zu verlieren) ist für den Gläubigen stärker und wirksamer als alles andere.,

Wer keinen Durchblick hat, sich aber dennoch trennt, steht somit durchaus unter Suizidgefahr. Auch das erlebte ich. Hilfe erfährt derjenige in diesem Fall von der Gruppe überhaupt nicht.

Ich blieb konsequent, hatte aber viel zurückzugewinnen: Vergebung, auch in der Familie, meine Wohnung, eine neue Arbeitsstelle. So langsam konnte ich wieder in den Alltag finden. Es war immer ein Kampf, steckten dahinter ja höhere Kräfte, und nur Hoffnung, Mut und Vertrauen konnten mir dabei echt helfen. Hingehen, alte Freunde um Vergebung bitten, das war der einzig richtige und auch gesegnete weitere Weg für mich.

Anhang an den Erlebnisbericht von Kathrin Müller: Wie arbeiten sie?

Ihre hauptsächliche Arbeitsweise ist das einzelne Gespräch. Störungen von christlichen Veranstaltungen während ihres Ablaufes ist eine Ausnahme. Dabei bieten sie sich als Gesprächshelfer an. Ziel dieser Gespräche ist, dass der Einzelne zu einem Besuch in ihrer Lebensgemeinschaft eingeladen wird. Dabei machen sie dem Jugendlichen klar, dass alles unverbindlich und freiwillig ist.

Der Besucher wird mit großer Fürsorge und "Liebe" aufgenommen. Er darf noch fragen und zweifeln. Sollte er sich für sie entscheiden, legen sie Wert darauf, dass alle Brücken zu den Ungläubigen abgebaut werden. Dazu gehören auch Eltern, Geschwister, Freunde, alte Gemeinde. In den täglichen Gruppengesprächen wird der Neue ganz schnell geschult. Jetzt haben Zweifel schon größere Folgen. Mit einem Mal wird ihnen die Konsequenz des Abfallens deutlich gemacht. An dieser Stelle folgen große innere Kämpfe, die auch provoziert werden, damit sich der Mensch "freiwillig" ihnen unterordnet.

Die meisten beenden diese Phase des inneren Leidens mit einem Bekenntnis zu der Gruppe. Eine andere Entscheidung stößt sie in die Isolation von der Gruppe; von ihren Freunden hatten sie sich ja schon getrennt. Sie sind vereinsamt.

An dieser Stelle zeigt sich die ganze Unbarmherzigkeit dieser Sekte. Es gibt Belege dafür, dass sie den Selbstmord eines Menschen in dieser Phase in Kauf nehmen würden. "Es ist besser, dass er sterbe, als dass er abfalle." (Zitat: Gottfried P.)

Das Bleiben in der Gruppe ist verbunden mit dem Aufgeben eigener Ziele und Wünsche. Mit der Zeit stumpfen die Leute ab. Da es kein Zurück gibt, bleibt nur der "Trost", um des "Herren willen zu leiden".

Es ist erschreckend, wie schnell Jugendliche, welche in diese Gruppe geraten, ihre Persönlichkeit verlieren. Kreativität, Lebensfreude, Phantasie sind ihnen fremd geworden. Die Angst abzufallen, ist ihr ständiger Begleiter. Das alles lässt auf einen starken Leistungsdruck auch innerhalb der Gruppe schließen. Zweifel werden sofort unterdrückt und durch Einsätze für die Gruppe bekämpft.

Aus diesen ganzen Fakten und aus Gesprächen mit Menschen, die mit dieser Gruppe in Berührung gekommen sind, muss ich die Schlussfolgerung ziehen, dass es nicht der Geist Gottes ist, der unter ihnen wirkt. Es ist ein sektiererischer Geist, der Menschen unterdrückt, ja sie fast zu Sklaven macht.