Reinigung und Läuterung
„Viele meinen, dass das Bewerten identisch mit dem Richten ist, obwohl es einen großen Unterschied zwischen beiden gibt. Das Konzept der Bewertung ist nicht notwendigerweise negativ, denn es meint eigentlich nur eine Meinung über Gut und Böse zu äußern: die praktische Anwendung der Prinzipien, die in der Bibel offenbart sind. Das ist sowohl für weltliche als auch geistliche Dinge gleich wichtig. Andererseits setzen die Begriffe Richten, Verurteilen und Verdammen eine böse Gesinnung voraus. Das Bewerten entspringt dem Bestreben, die Gerechtigkeit und das Gute zu kennen, und es möchte damit hilfreich sein. Ohne diese Sichtweisewird auch eine absolut richtige und wahre Meinung zu einer lieblosen und eine gnadenlosen Verdammung“, liest man auf der Homepage der Christen. Nach den Berichten der ehemaligen Mitglieder fällt es schwer zu glauben, dass die einem Ausschluss vorangehende Versammlung eine Form von hilfreicher Bewertung gewesen sei.
Die, welche die Gruppe auf unterschiedliche Weise verlassen haben, unterscheiden zwischen „Ausschluss“ und „Entlassung“: „Mit dem Ausschluss machten wir deutlich, dass wir eine wirklich schlechte Meinung von jemandem hatten und nach verschiedenen Warnungen sagten wir, dass wir nicht mit ihm in der gleichen Gemeinschaft leben könnten. Aber davor hatten wir verschiedene Diskussionen mit ihm darüber. Wenn wir aber glaubten, dass jemand aufgehört hat, Christ zu sein, entließen wir ihn“, erklärte ein ehemaliges Mitglied.
Es folgen hier drei typische Berichte, von denen jeder einige Besonderheiten hat: Bei Antal wurde als seine Sünde „falsche Lehre“ diagnostizert, aber in der Realität liest sich sein Bericht etwas anders: Er ist der einzige, der einen [Ehelosigkeits-] Schwur geleistet hatte, bevor der die Gemeinschaft traf, und sich danach in der Gemeinschaft verliebte. Aber es ging nicht nur darum. „Ich suchte nach ähnlichen Gemeinschaften im Internet und hatte Kontakt mit einer amerikanischen Gemeinschaft. Die Gemeinschaft erfuhr davon, denn die Amerikaner antworteten nicht mir, sondern der Gemeinschaft, dass sie uns kennen lernen und besuchen wollen. Ich gab diese Nachricht weiter. Dieses Mädchen wollte nicht länger in der Gemeinschaft bleiben. Ich entschuldigte mich gegenüber der Gemeinschaft, dass ich den Kontakt heimlich hergestellt und meinen Schwur verletzt hätte. Sie bezeichneten mich als falschen Lehrer. Ich wurde ausgeschlossen, aber nach einer Woche wieder aufgenommen. Sie sagten mir nicht den Grund für den endgültigen Ausschluss. Ich wäre sonst gern noch dort“.
Arankas eigentliche Sünde war ihre Frage nach einer Reform der Gemeinschaft: „Zusammen mit Ábel und Nóra schrieben drei von uns ihre Kritikpunkte auf, trauten sich aber nicht, sie zu unterschreiben. Aber ich schickte sie anderen Mitgliedern per Mail – in jede Stadt und in unterschiedlichen Sprachen. Ich bekam eine Antwort aus Deutschland. Sie warnten uns sehr deutlich. Wir sprachen darüber auf der winterlichen Konferenz. Im Februar 2006 wurde ich zu einem Gespräch eingeladen, wo sie mir vorwarfen, nicht nach Einheit zu streben. Ich kritisierte dieses Gespräch, denn ihm ging nicht (wie es dem Geist der Bibel entsprochen hätte) ein persönlicher Kontakt mit mir voraus. Sie fuhren aber in der gleichen Weise fort, um meinen Stolz zu erschüttern. Sie fragten mich „Hast Du über das Abfallen nachgedacht?“ (sie meinten die ewige Trennung von Gott). Ich äußerte meine Meinung, dass jeder abfällt, der seinen Schwur bricht. Darüber gab es keine einheitliche Meinung in der Gemeinschaft, aber diejenigen, die eine andere Meinung als meine Kritiker vertraten, waren zu dem Treffen nicht eingeladen worden. Sie verlangten, dass ich meinen Job und meinen Beruf aufgeben sollte (Ich bereitete gerade meine Klasse für ihre Abschlussprüfungen vor). Ihnen missfiel auch die Tatsache, dass ich die Gemeinschaft nicht mit Gott gleich setzte. Ich traf Antal, dem sie auch vorwarfen, dass er abgefallen sei. Er riet mir zu bleiben. Dazu meinten sie: Ein Ausgeschlossener kann keinem anderen Ausgeschlossenen helfen. So wirkte ich ungewollt bei seinem Ausschluss mit. Nach dem dritten Gespräch tadelten sie mich streng. Ich verlangte, dass sie ihre Entscheidung deutlich sagen sollen. Einen Monat später (im März 2006) teilten sie mir am Telefon mit, dass sie mich ausschließen. Ihre Erklärung war, dass ich mit jemandem nicht spazieren gehen wollte. All das fußte nur auf einer einzelnen Aussage“ (Aranka).
Alojzia war nur für anderthalb Monate in der Gemeinschaft. Ihre Sünde war, dass sie zu viele Fragen stellte. „Ich vertraute und glaubte ihnen. Als ich einen Mann, der in religiösen Dingen erfahren war, treffen wollte, um mit ihm darüber zu reden, schlossen sie mich sofort aus – wenn auch nur vorübergehend. Danach hatte ich viele Fragen, aber sie antworteten mir nicht und schlossen mich schließlich endgültig aus. Als ich sie nach den Gründen für den Ausschluss fragte, antworteten sie „wir wollen keinen Grund nennen“. Wenn ich den größeren Kontext der Formulierungen betrachte, die sie für ihre Argumente benutzten, bemerkte ich, dass fast alles etwas anderes bedeutete, als wofür sie es verwendeten.“
Ähnlich wie viele andere wartete Lenke nicht, bis sie ausgeschlossen wurde: „Ich hatte persönliche Konflikte, vor allem wegen Kleinigkeiten, die sich aus dem Zusammenleben ergaben. Ich sagte ihnen nicht, was mich störte. Ab und an hatte ich einen Zusammenbruch, aber nicht einmal da sprach ich darüber. Ich stand lieber auf und ging fort. Eine Zeitlang versuchten sie mich zu ermutigen und ich machte weiter. Dann teilten sie mir ganz plötzlich mit, dass ich ausgeschlossen sei. Ich verließ die Gemeinschaft, aber traf mich noch einige Mal mit ihnen. Ich war mir unsicher, aber ich vermisste sie. Ich suchte nicht nach einer anderen Beziehung. Ich hatte nach wie vor Gewissensbisse. Ich dachte, dass ich gegen meine eigenen Sünden kämpfen müsste. Ich kehrte zurück, um persönlich und mit der Gemeinschaft darüber zu reden, was ich falsch gemacht hatte. Später versuchten sie nicht einmal, mit mir zu reden und schließlich war ich es, die ging.“
Ob es die Richtenden nun sagten oder nicht, in der überwiegenden Mehrzahl der Ausschlüsse und Austritte spielte eine Liebesbeziehung eine Rolle, aber in vielen Fällen wurde das nicht im „offiziellen“ Verdikt erwähnt. In Bezug auf diese Verhandlungen haben viele erwähnt, dass gemäß der „offizielle Lehre“ kein Mitglied allein wegen falscher Lehre oder größerem moralischem Fehlverhalten ausgeschlossen werden könnte. Aber nach Arankas Meinung (und der vieler anderer) „missachtete die Gemeinschaft in vielen Fällen diese Prinzipien und schadete sich damit sowohl selber (durch den Verlust von wertvollen Mitgliedern) als auch dem Leben des Ausgeschlossenen. Wir gaben Geschwister eher verloren als Gott es getan hätte, so dass sich viele Ausgeschlossene wie lebendig verbrannt fühlten. Es gab einige Geschwister, die wir jahrelang vernachlässigten. Dann stießen wir auf ihren Fall und schlossen ihn sehr oft aus. In den letzten Jahren haben wir einige Mitglieder nicht deswegen ausgeschlossen, weil sie moralische Sünden begangen, sondern weil sie Zweifel gehabt hatten, weil sie bestimmte Dinge hinterfragten und somit nicht die Autorität der Gemeinschaft anerkannt hatten. In den letzten Jahren haben wir viel zu leichtfertig über jemanden das Urteil gefällt, dass er nie ein Christ war. Wenn das wahr gewesen wäre und wir es nicht eher bemerkt hätten, dann waren wir keine christliche Gemeinschaft. Es war kein faires Verfahren, dass das ausgeschlossene Mitglied zuerst einen Brief schreiben musste, auf dessen Grundlage die Gemeinschaft entscheiden konnte, ob sie mit ihm sprechen wolle[1]. Es gab Verhandlungen über einen Ausschluss, bei denen später sündhafte Dinge über die meisten Richter aufgedeckt wurden. Wir hielten uns nicht an das Gebot aus dem Evangelium: „Wenn ein Bruder oder eine Schwester sündigt, geh und weise sie mit zwei Zeugen darauf hin.“ (Mt 18, 15-18)
[1] Gleichzeitig erhielten die Ausgeschlossenen kein schriftliches „Urteil“.