Bericht von einer Werbeaktion in einer Berliner Gemeinde (1998)

übernommen mit freundlicher Genehmigung aus "Berliner Dialog" Nr. 2-98

Falkenhagen, den 3. April 1998 Liebe Geschwister!

Hiermit möchte ich Sie über Aktivitäten einer Gruppe informieren und vor diesen auch warnen. Im Kirchenkreis Seelow haben sich telefonisch ziemlich flächendeckend junge Leute gemeldet und interessiert nach Bibelkreisen und Jungen Gemeinden gefragt. In meiner Gemeinde sind sie bisher zweimal aufgetaucht (Kreis Junger Erwachsener und Junge Gemeinde - eigentlich wollten sie den Jugendgottesdienst besuchen, der ausfiel). Kollegen haben bisher Anrufe, aber noch keinen Besuch gehabt.

Auffällig: Man bekommt eigentlich nicht heraus, wer sie sind und woher sie kommen. Sie sind halt "nur zufällig in der Gegend" und haben vom Kreis hier gehört" Sie sind einfach nur "Christen, die einen Bibelkreis suchen", den sie bisher nicht gefunden haben (ohne jeden Gemeindehintergrund).

Das einzige, was man erfährt sind die Vornamen, sie kommen "aus Berlin" - Nachfrage: "Ostteil" - Nachfrage: "Friedrichs-hain" - das aber auch nur noch herausgequetscht!

Diese jungen Leute sind sehr "bibelinteressiert" und auch "bibelfest". Die zweite "Delegation" versuchte dann auch, eine neue Besucherin der Jungen Gemeinde in ein Gespräch zu ziehen, während mich der andere in einem Gespräch ablenkte. Als ich mich in das Gespräch einmischte, stellte sich schnell die extrem biblizistische und starr gesetzliche Haltung der beiden heraus, die kein Gespräch suchten, sondern nur Abgrenzung.

Beim Gebet konnten sie nicht mitbeten (Das Vaterunser wurde nicht mitgesprochen). Auf Nachfrage: "Wir können doch nicht mit jedem beten; wir müssen doch erst mal sehen, ob die Grundlage stimmt und Ihr wirklich Christen seid! Und wir hatten doch recht, dass wir keine gemeinsame geistliche Grundlage haben."

(Wer mich kennt, weiß, das ich gewiss nicht im "Verdacht" stehe, "bibelkritisch" o.a. zu sein.)

Tauchen also auch bei Ihnen - angemeldet oder auch nicht - zwei junge, an der Bibel interessierte, aber eher anonym bleibende Leute auf, so ist es nicht allzu sinnvoll, hier echtes Interesse an geistlicher Gemeinschaft oder Ihren Gemeindekreisen zu vermuten.

Nach Angaben von Bruder Gandow handelt es sich wohl um die "Holic-Gruppe", eine christliche Sekte aus Österreich, die außer in Österreich vor allem in Sachsen, Ungarn und Tschechien wirkt. Mittlerweile hat sie eine Wohngemeinschaft in Berlin. Innerhalb der Kirche spricht sie vor allem junge Leute an, versucht, in Kreise und Veranstaltungen einzudringen, um einzelne in ihre eigene Gruppe abzuwerben - die einzige wahre christliche Gemeinschaft.

Die Gruppe ohne jede Privatsphäre lebt in Gütergemeinschaft und teilt auch alle Gedanken (kein eigenständiges Denken - alles wird in der Gruppe geprüft- oh es "vom Geist ist"). Es gibt für alle Fragen eine biblische Antwort, und zwar eine 100%ig eindeutige.

Mit freundlichen Segenswünschen, Ihr Carsten Schwarz, Pfarrer i.E. in Falkenhagen

Protokoll einer versuchten Unterwanderung

Februar: Eine junge Dame ist am Telefon. Sie hat "von einem Pfarrer aus Seelow" gehört, das wir einen Kreis junger Erwachsener haben. Was wir denn machen? Bibelarbeit? Über Thema "Sünde"? Interessant! Können wir mal vorbeischauen? - Gerne, selbstverständlich

Donnerstag: Kreis Junger Erwachsener. Zwei junge Damen sind dabei. Sie stellen sich vor. Mit Vornamen. Kommen aus Berlin. - Wo denn da? - Aus dem Ostteil. - Und wo da? - Aus Mitte/Friedrichshain. Sie sind öfter mal in der Gegend und suchen einen Bibelkreis. - Hier? In Berlin gibt's doch recht viele? - Wir haben da nichts gefunden.

Der Abend vergeht. Die beiden erweisen sich als sehr bibelkundig und machen bei der Bibelarbeit auch mit - bei der Gebetsgemeinschaft beteiligen sie sich nicht - beim Vaterunser sprechen sie nicht mit. - Sie gehen nach dem Bibelteil, zum gemütlichen Teil bleiben sie nicht.

Ich lade sie zum Gottesdienst "Junge Gemeinde" am 27. März ein. - Sie sind weg: "Was waren das denn für Leute?" - "Mensch, sei doch nicht gleich so misstrauisch!!!" gebe ich zur Antwort.

März: Der Gottesdienst "Junge Gemeinde" (GD JG) fällt aus diversen Gründen aus. Junge Gemeinde versammelt sich. Zwei junge Männer kommen: Ist denn heute kein Jugendgottesdienst? Ach so, wir bleiben dann zur Jungen Gemeinde. - Na klar. Gerne. - Vorstellung mit Vornamen. - Woher habt Ihr denn vom Jugendgottesdienst gehört? Von Freunden. - Und woher kommt Ihr? - Aus Berlin. Wir sind öfter mal zwischen Berlin und Polen unterwegs. Was macht Ihr denn so in der Jungen Gemeinde? Auch Bibelarbeit? - Ja....

Der Vortrag eines Jugendlichen über "Scientology" fällt aus, weil er nicht kommt. Alternative: Besprechung eines Stückes für den Ostergottesdienst. Rollenverteilung. Lesen des Stückes, das Verkündigung im Gottesdienst sein soll ("Auferstehung"). Danach Gebet von mir, gemeinsames Vaterunser. Die beiden beten nicht mit. Danach: Spiele. Sie machen nicht mit, wollen aber auch noch nicht gehen.

Gemeinsamer Abschluss mit Leseandacht. Offener Teil. - Macht ihr denn noch was? - Spielen, reden, beisammen sitzen, Sie bleiben. Einer fängt mit einem Mädchen (neu! Hatte sich auch vorgestellt) ein Gespräch an. Der andere mit mir über die Gemeinde und was wir so machen, wie der Jugendgottesdienst so abläuft. Die anderen spielen, reden. Ich merke, das Gespräch der beiden anderen ist sehr intensiv. Sehr nachdrücklich redet der junge Mann auf das Mädchen ein. - Ich drehe den Spieß mit meinem Gesprächspartner um. Frage, aus welcher Gemeinde in Berlin er denn kommt. - Keine. -Wie seid Ihr denn zum Glauben gekommen? - Wir lesen zusammen die Bibel. - Alleine? - Nein, wir kennen schon ein paar Christen. - Und woher kommen die? - Mit denen treffen wir uns halt. - Warum sucht Ihr keine Gemeinde in Berlin? - Keine gefunden, die zusagt. Alles zu club- oder sozialmäßig. Zuwenig Bibelarbeit. - Ich kenne viele Gemeinden, wo viel Gemeinschaft und Bibelarbeit los ist. Interesse an Adressen? - Ja. - Jetzt ist es gerade schlecht. Ich schreibe sie morgen auf. Gib mir doch eure Adresse. Ich gebe die Adressen der Gemeinden dann durch.

- (Röte steigt ins Gesicht). Mit dem Telefon ist das schwierig bei uns. Schreibe doch einfach eine Adresse auf. Ich hole mir dann die anderen Adressen von demjenigen. - Ich breche das Gespräch ab. Die anderen warten auf ein Spiel - Das "neue" Mädchen kann sich nicht aus dem Gespräch lösen. Mit Blicken schicke ich einen Älteren zu ihr; gehe, sobald ich kann, selber rüber. Frage nach, worum es geht. - Um Konfessionen. - Manchmal bin ich richtig froh, dass es die gibt (wenn sie sich nicht gegenseitig bekämpfen). Ich kann da Vieles entdecken, was die eigne Prägung ergänzt. - Nein, das kann nicht sein. In der Bibel steht: die Christen sollen eins sein - In der Bibel steht die Wahrheit, da haben Streitigkeiten und sog. "Vielfalt" keinen Platz. Christen zeichnen sich durch die Einheit aus statt durch Spaltung und Unterschiede. - Ich verweise auf überkonfessionelle Veranstaltungen wie "Pro Christ" oder den "Tag der Ermutigung" im französischen Dom in Berlin, wo viele verschiedene Christen unter Gottes Wort und Gebet, Gespräch und Gemeinschaft zusammenkommen und gemeinsam zum Glauben einladen; wo sie die Mitte des Glaubens und nicht die Unterschiede herausstellen, eins sind.

- Nein, das ist alles nur äußerlich. Da ist keine Einheit. - Ich habe jahrelang mit einem syrisch-orthodoxen Christen in einer Gemeinde zusammen gelebt. Lebe Jetzt mit Katholiken in einer Kirchengemeinde. - Nein, Ihr habt nicht zusammen gelebt. Ihr seid nur ab und zu zusammen gekommen. Das ist keine Gemeinschaft. - Wie sieht die denn aus? - Die Urgemeinde war jeden Tag als eine Gemeinde zusammen. - Ich versuch mir das in Berlin vorzustellen. - Er fühlt sich verschaukelt. - Ich meine es ernst: Wie soll das aussehen? Eine Gemeinde in Berlin? - Steht in der Bibel! So geht es weiter: Es geht um Fragen wie Ehebruch, Ehescheidung. Es geht darum, dass ein Christ nicht raucht. Kurz: Es wird härter. Ist das Gesetz für den Menschen oder der Mensch für das Gesetz da? Ist das Gesetz Jesu härter, enger als das des Mose? Wie radikal ist die Erlösung und die Möglichkeit zum Neuanfang? Ich stelle bei mir ein großes Unbehagen fest.

Die beiden Damen vorigen Monat kommen mir wieder stark ins Bewusstsein (nichts von sich sagen, keine Gemeinde, Suchen eines Bibelkreises, Vaterunser nicht mitbeten). Ich sage es. Wir waren doch offen. - Warum habt Ihr uns nicht gefragt, ob wir noch über dies oder jenes reden wollen, dass es euch interessiert? Warum eine von uns alleine angesprochen? - Wir haben doch gesagt, wer wir sind und was wir wollen. Und jetzt reden wir über die Bibel, und das wollten wir. - Warum habt ihr nicht mit uns gebetet? Gebet ist doch die Lebensäußerung von Christen. - Wir können doch nicht mit jedem beten. Wir müssen uns doch erst einmal kennen lernen, ob wir eine geistliche Grundlage haben. Außerdem hat Jesus das Vaterunser nicht dazu gegeben, das in einem so herunterzurattern (und danach gleich eine rauchen gehen). Außerdem sehen wir doch jetzt, dass wir recht hatten: Wir haben keine geistliche Grundlage und Gemeinschaft. Sie gehen. Nachgespräch mit den Jugendlichen:

Wie hat das "neue" Mädchen die Sache empfunden? Zuerst normal, dann sehr unwohl, bedrängt; ihre Meinung zählte gar nicht. Am meisten hat sie die Rede von der Gemeinschaft irritiert, in der er jetzt lebt (nur im Einzelgespräch erwähnt) und die die richtige Form von christlicher Gemeinschaft ist. Diese kirchlichen Zusammenkünfte sind doch keine richtige christliche Gemeinschaft. Auf die Aussage, dass sie auch andere Freunde habe und ein Privatleben, widerspricht er. Meine Freunde habe ich in der Gemeinschaft und meine Ruhe finde ich in Gott. Was anderes brauche ich nicht.

Austausch in der Gruppe. Gut: Anfrage, wie ernst ich mein Christsein nehme. Schlecht: Sie picken sich das "schwächste" Glied der Gruppe heraus: eine relativ Neue. Vom Gott der Liebe und Barmherzigkeit spürt man wenig. Was wollten die denn von uns?

Wir gehen die "EBI-Checkliste für Einsteiger" durch (Stichpunkte zur Kontrolle, ob es sich um eine Sekte handeln könnte). Wir entdecken einiges. - Andere Gemeinden im Kirchenkreis sind ebenfalls schon angerufen worden...