Brief der Österreichischen Studentenmission (ÖSM) an Gottfried Holic (1980)

26. September 1980

Lieber Gottfried!

Es fällt uns bestimmt nicht leicht, Dir diesen Brief zu schreiben, und wüssten wir uns nicht Gott gegenüber für unser Handeln verantwortlich, wären wir diesem unangenehmen Schritt lieber ausgewichen. Wir müssen Dich mit diesem Brief bitten, die ÖSM-Veranstaltungen nicht mehr zu besuchen. Die Tatsache, dass wir (wie Du ja selbst weißt) Dich persönlich gern haben und dass wir viele Deiner Beiträge in unseren Veranstaltungen schätzen, darf uns nicht dafür blind machen, dass Du eine Grundwahrheit des Evangeliums und unserer Erlösung verletzt und in der Praxis verleugnest.

Nachdem die Verantwortlichen der Gemeinde Tulpengasse Dich gebeten haben, die Veranstaltungen der Gemeinde nicht mehr zu besuchen (über die Gründe können wohl sie selbst am besten Auskunft geben), haben sich in Dir Hass und Verbitterung breitgemacht. Du hast daraufhin sofort begonnen, in sehr negativer Weise über diese Verantwortlichen zu reden. Da wir es nicht als Aufgabe der ÖSM ansehen, Ort und Mittel zur Weitergabe solcher Verbitterung zu sein, vereinbarten wir mit Dir, dass Du das in der ÖSM und gegenüber Menschen, die Du dort kennen lernst, unterlässt. Wir betrachteten diese Vereinbarung zwar nicht als Lösung des Grundproblems, wollten Dich aber auch nicht überfordern, solange Du derart emotionsgeladen warst.

Seit diesem Ereignis sind nahezu zwei Jahre vergangen, und allmählich wurde uns bewusst, dass Du in Deiner Haltung verhärtet bist und Deine damaligen Äußerungen nicht als momentane Emotionswallung zu erklären sind.

Haben wir überhaupt die Fähigkeit, die Haltung eines anderen Menschen zu beurteilen? - Nachdem wir selbst Menschen sind, kennen wir von uns selbst her den Unterschied zwischen sachlicher Kritik an jemanden (gegen den wir im übrigen nichts haben) und leidenschaftlicher Aggressivität. Es wirkt auch merkwürdig, wenn eine Gemeinde, mit der Du Dich so verbunden gefühlt hast, dass Du Dich selbst als Mitglied betrachtet hast, für Dich plötzlich eine Sekte ist, vor der man warnen muss. Es wird Dir auch schwer fallen, jemanden zu finden, der die Verantwortlichen der Tulpengasse kennt und sie (wie Du) mit Verbrechertum, Geisteskrankheit und Dämonie (oder Satanie) in Verbindung bringen würde. All das bestätigt noch unseren Eindruck (der auch von vielen Menschen außerhalb der ÖSM geteilt wird), dass Du durch Deine hasserfüllte Haltung zu einem sachlichen Urteil nicht mehr fähig bist. Dort, wo Du meinst, dass Dir Unrecht geschehen ist, erwartet Gott Deinen aufrichtigen Wunsch zu vergeben. Gemäß den Worten Jesu (Mt 6,14f und 18,21-55) müssen wir befürchten, dass Du mit Deiner Haltung die Gnade Gottes und seine Vergebung zurückweist.

In mehreren Gesprächen haben wir versucht. Dich vom Ernst Deiner Lage zu überzeugen. Es ist uns nicht gelungen. Unsere Worte trafen nie Dein Herz; Dein Verstand registrierte unsere Warnungen und versuchte, sie intellektuell zu widerlegen. Wir wollten, dass Du Deine (von Dir behauptete) Versöhnungsbereitschaft dadurch zum Ausdruck bringst, dass Du das Gespräch mit diesen Menschen suchst. "Mit Irrlehrern darf man nicht reden" - das ist Deine Begründung, mit der Du unserem Vorschlag hartnäckig; aus dem Wege gehst. Gerade bei dieser Ablehnung kam auch immer Deine unversöhnliche Haltung in erschreckender V/eise zum Vorschein.

Haben wir das Recht, die Haltung eines anderen Menschen zu beurteilen? - Ja, wir sind vielmehr verpflichtet, aufeinander acht zu geben. Wir würden uns mitschuldig machen, wenn wir einen Menschen in großer Gefahr sehen und ihn nicht ernsthaft ermahnen; insbesondere, wenn er uns seit Jahren so nahe steht wie Du.

In der ÖSM versuchen wir, unseren Kollegen die Grundwahrheiten des Evangeliums mitzuteilen, und Du hast dieselbe Absicht. Mit demselben Mund, mit dem Du von der Liebe Gottes redest, bringst Du Deinen Hass auf andere Menschen zum Ausdruck. Gläubige wie Nichtgläubige sehen die Diskrepanz zwischen Evangelium und Praxis, was zur Ablehnung der Gruppe (ÖSM) oder auch (noch viel schlimmer!) des Evangeliums selbst führen kann. Wir können uns nicht vorstellen, Mitarbeiter einer Gruppe zu sein, wo bei jemandem, der mit uns das Evangelium verkünden will, permanente eine Haltung der Verbitterung gegenüber anderen Menschen besteht. Dabei ist es gar nicht so wichtig, ob diese Haltung innerhalb der Mauern des Albert-Schweitzer-Hauses zum Ausdruck kommt oder nicht. Wir müssen uns klar distanzieren von der Haltung, die Du gegen einige Christen hast und wir wollen Dir mit unserer Maßnahme, dass wir Dich bitten, die ÖSM-Veranstaltungen nicht mehr zu besuchen, klarmachen, wie schwerwiegend Deine Haltung ist.

Wir grüßen Dich und hoffen, dass Du den Brief als Ausdruck unserer Liebe und Sorge annimmst.

7 Unterschriften

PS: Wenn Du mit anderen Menschen über diese Maßnahme sprichst, und sie unsere Gründe kennen lernen wollen, zeige ihnen bitte diesen Brief.