Verhalten der Holic-Gruppe gegenüber Anhängern mit psychischen Problemen (2009)

Die Verfasserin des vorhergehenden Berichts schildert hier noch einmal speziell ihre Erfahrungen, wie die Gruppe bei einer psychischen Erkrankung mit ihr umging.

Spielt das Thema Psychische Erkrankung eine Rolle in der Holic-Gruppe?

 In die Holic-Gruppe werden auch Menschen mit psychischen Problemen / psychischen Krankheiten aufgenommen. Sie sind durchaus eine Zielgruppe der Holic-Gruppe, da diese Menschen zumeist ungefestigt sind, was ihr Leben und eine eigenständige Beziehung zu Gott, soweit vorhanden, betrifft.

 Zu meiner Zeit gab es mehrere psychisch beeinträchtigte „Geschwister“ in der Gruppe, sowohl in dem deutschen Zweig als auch in anderen Ländern (in der Holic-Gruppe traf man einander ja regelmäßig bzw. auch durch E-Mails wussten wir voneinander, also die Hausgemeinden voneinander).

 Was bewog Sie, der Gruppe beizutreten?

 Selber psychisch krank, wurde ich, nachdem ich missioniert worden war, von der Gruppe aufgenommen. Ich war schon viele, viele Jahre Christ, aber wollte von Gott mehr. Dies war meine Motivation, mich der Gruppe anzuschließen. Unter anderem sehnte ich mich nach Heilung von meiner - doch schwerwiegenden - Erkrankung. Gern wollte ich auch meine vielen Gaben einsetzen, mit denen Gott mich beschenkt hat. Ich wollte das Leben als Christ ganz, ganz ernst nehmen.

 Die Gruppe packte mich (gewann mich) mit dem Gebot der Bruderliebe, das Jesus ja gab (Joh 13, 34-35: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“). Ich „erkannte“, dass in meiner Gemeinde, in die ich ging, die Bruderliebe nicht so gelebt wurde, wie Jesus es gebot. Man erklärte mir, wie Jesus denn wolle, dass man seine Brüder lieben solle. Und ließ mich die Schlussfolgerung ziehen, dass bei ihnen das Gebot der Bruderliebe gelebt werde und wer dies nicht tue, sei kein Christ. Und ich wollte doch Christ sein. Somit sprach man auch meiner ganzen Gemeinde das Christsein ab, bzw. meine Gemeinde wurde hiermit zum Missionsobjekt.

 Wie verliefen Ihre ersten Wochen in der Gruppe?

Nun, man kam in der Holic-Gruppe ganz schnell mit mir damit überein, dass ich bisher gar kein Christ gewesen wäre und erst jetzt umgekehrt wäre, ich wurde auch (noch einmal) getauft, da meine Glaubenstaufe für sie ohne Bedeutung war. Wie ich eingangs grundsätzlich beschrieb, so war es auch bei mir: Ich war zwar schon lange Christ, aber als Christ und im Leben völlig ungefestigt.

Nun, frischgebackene „Schwester“, - ich kam innerhalb weniger Tage, genau genommen nach meiner „Taufe“, in eine Mühle, aus der ich Zeit meiner Zugehörigkeit zu der Holic-Gruppe nicht mehr herauskommen sollte. Ich wurde nun unterwiesen in biblischer Lehre, wohlgemerkt nach Holic-Manier. Unter anderem ermahnte man mich, doch meine Zeit bestmöglich zu nutzen (um mit dem alten biblischen Wort zu sprechen: „auszukaufen“). Eine Konsequenz dessen war, dass ich mich ab da selber stark unter Stress setzte. Mit der Konsequenz, dass ich mir innerhalb der ersten Wochen bei der Gruppe den Fuß brach, weil ich vor lauter Stress, beladen mit einer schweren Last, eine Treppenstufe übersah. Letztlich wurde mir dies sogar noch als eigene Schuld angelastet, weil ich keine „gute Gesinnung“ hatte, als ich stolperte (ich war schlichtweg in einer Situation der Überforderung).

Wie ging man jetzt konkret mit psychischer Krankheit in der Gruppe um?

Wie man am Gesagten schon sieht, wurden psychisch Beeinträchtigte in der Gruppe grundsätzlich behandelt wie Gesunde. Zumindest wurde versucht, sie an ein Leben heranzuführen, das immer mehr war wie das eines gesunden Holic-Mitgliedes. Gern gesehen wurde, wenn ein psychisch beeinträchtigtes Mitglied eine Sünde (ganz grundsätzlich) als Ursache für seine Beeinträchtigung / Krankheit sah.

Auch eine Psychotherapie wurde als Sünde angesehen. Da diese ja die Lebensführung des Kranken beeinflusst und der psychisch Beeinträchtigte sich hier der Welt öffnen würde. Und dann Und dann käme darin die Meinung zum Ausdruck, dass die Holic-Gruppe nicht dem beeinträchtigten Bruder / der beeinträchtigten Schwester helfen könnte.

Ist also jede medizinische Hilfe für psychisch kranke verboten?

Psychisch kranke Holic-Mitglieder gehen zum Facharzt (Psychiater), da dieser ja die Medikamente verordnet. Eine Psychotherapie aber gilt als Sünde. Auch ich ging zum Facharzt. Ich besprach jedoch immer mit einer „Schwester“ meine Arztbesuche, damit ich nicht sündigte bzw. eventuelle Sünde beurteilte. Einmal - es kam das Gespräch auf so etwas Persönliches - sagte ich meiner Ärztin meine Zweifel, ob meine Freunde (d.h. meine „Geschwister“) mich wirklich lieben würden, woraufhin sie mir ihre Privatnummer für alle Fälle gab. Dies wurde mir hinterher in der Gruppe angelastet, warum die Ärztin mir ihre Privatnummer gegeben habe (ich konnte mich an den Grund lange nicht erinnern), dass das aussähe, als könne mir die Gruppe nicht helfen, - welch Anmaßung! Diese Situation war einer der Gründe für meinen späteren Ausschluss.

Wie wirkt sich diese Überwachung durch die Gruppe auf die Beziehung zum Arzt aus?

Es ist auch so, dass ein Holic- Mitglied seinem Arzt gegenüber, insbesondere seinem Psychiater, keine vertrauensvolle Beziehung entwickeln darf. Dieser gehört zur „ bösen Welt“ und eine vertrauensvolle Beziehung wäre Sünde. Der Arzt darf deshalb auch möglich nichts vom Gruppengeschehen erfahren. (Gerade dem, was ja den/ die Beeinträchtigte vielleicht gerade akut krank gemacht hat!) Aufgearbeitet werden darf nur innerhalb der Gruppe. Nach einer Krankheitszeit geschah diese vor allem im Hinblick darauf, welche Sünde(n) des Betroffenen den „Bruder“ / die „Schwester“ denn nun krank gemacht haben. So erlebte ich es jedenfalls.

Eine psychische Krankheit wurde also als Folge einer Sünde verstanden?

Ich war einmal leicht akut erkrankt, bekam eine Medikamentenerhöhung, kehrte von der vermeintlichen Sünde um, und eine „Schwester“ (die sich für mich zuständig sah, sie war eine Hardlinerin) sagte zu mir: „Na, dann kannst du deine Medikamente ja wieder reduzieren.“ Die selbe „Schwester“ maßte sich auch grundsätzlich an, sich mit meinen Medikamenten auszukennen, so wandte ich mich manch ein Mal an sie, wenn ich meinte, ich bräuchte eine Dosiserhöhung. (Sie ist Ergotherapeutin und hat im Rahmen ihrer Ausbildung ein Praktikum in einer psychiatrischen Station gemacht, in der Forensik. Ich weiß von ihr, dass sie damals der Meinung war, alle dortigen Patienten seien Simulanten, die nur nicht ins richtige Gefängnis wollten.) Sie fühlte sich auch gleich von Anfang an für mich zuständig, ich geriet sofort in eine sehr negative Abhängigkeitsbeziehung zu ihr. Leider habe ich dem nicht gleich von Anfang entgegen gewirkt.

Was empfahl die Gruppe als Hilfe bei einer psychischen Erkrankung?

Wer psychisch krank war, wurde - wie gesagt - angehalten, darum zu kämpfen, ein immer (nach Holic-Ansicht) normaleres Leben zu führen. Das Wichtigste ist für die Holic-Gruppe die Hingabe des eigenen Lebens an die Glaubensgeschwister (die sogenannte Bruderliebe). Dies bedeutet, dass von einem „Bruder“/ einer „Schwester“ erwartet wurde, dass er seine eigenen Wünsche ganz konsequent hinter so gesehene geistliche Belange zurückstellte. Der andere „Bruder“/ die andere „Schwester“ war höher zu achten als man selbst. Ein Beispiel: Eine ältere „Schwester“ zog wieder zurück in meine Hausgemeinschaft und brauchte ein ruhiges Bett. Normalerweise teilten wir zu mehreren „Schwestern“ - oder „Brüdern“- ein Zimmer. Ich schlief bisher in einem ruhigen Zimmer, und man war der Meinung, dieser Aspekt der Ruhe sei für mich nicht so wichtig. Also wurde von mir erwartet, dass ich mein Bett für diese Schwester hergab und in ein anderes Zimmer zog. Dies ist mir kurz vor meinem Ausschluss wirklich genau so passiert. Welche Bedürfnisse man selber haben durfte, wurde durch die Gruppe beurteilt. Das wurde natürlich so nicht gesagt, aber es war so.

Gerade das, was für einen psychisch beeinträchtigten Menschen so wichtig ist, dass er selber lernt, auf sich acht zu haben, seinen eigenen Willen zu entwickeln, zu lernen seine Bedürfnisse etc. wahrzunehmen und umzusetzen, sich zu entfalten (nur so kann man ja letztlich auch seinen Nächsten lieben), wird in vielem in der Holic-Gruppe als Sünde gesehen, als äußerst egoistisch. Insofern ist im Grunde genommen die Holic-Gruppe Gift für einen psychisch Kranken, auch wenn sie in gewissem Sinne Struktur gibt und auch dadurch stabilisierend wirken kann. Etwas aus seinem Leben machen zu wollen, ist „egoistisch“ und damit Sünde. Beharrt jemand darauf und will nicht umkehren, so ist ihm der Ausschluss sicher.

Nun ja, vor dem Hintergrund der Forderung nach Hingabe und Bruderliebe, so wie die Holic-Gruppe dies versteht, geschieht schon auch eine starke Ausnutzung durch die Gruppe. Dies insbesondere gegenüber eben diesen schwächeren „Geschwistern“. So wurde ich angehalten, angefangen im Haushalt der Stuttgarter Gruppe mehr und mehr hausfrauliche Tätigkeiten zu übernehmen (ich hatte solches angeboten). Schließlich arbeitete ich werktags fünf Stunden täglich dort, jedoch ohne Entlohnung. Aufgrund meiner psychischen Erkrankung lebte ich vom Staat. Ich hätte auch noch nicht normal arbeiten können. Trotzdem sehe ich dies inzwischen als nicht richtig. „Der Steuerzahler zahlt schon.“ Ich wurde durch die Gruppe angehalten, mir außerdem mittels Minijobs Arbeitsfähigkeit zu erkämpfen. Ich wollte ja fähig werden zu arbeiten. Dennoch geschah dies alles unter Zwang, nicht freiwillig, so dass ich mir jetzt, zurzeit, da ich dies schreibe, neu Arbeitsfähigkeit erarbeiten muss, weil eben dieser extreme Zwang seine Spuren bei mir hinterlassen hat. Ob man zu etwas Lust hat, zählt nicht in der Gruppe, sondern, ob man es kann. Es wird ja auch erwartet, dass man sich beständig überwindet. Ein wenig sarkastisch: Ist dies nicht schön?

Wird beim Ausschluss Rücksicht auf die psychische Verfasstheit genommen?

Dass ich bezüglich der Aufnahme eines Minijobs nicht einer Meinung war mit der Stuttgarter Gruppe spielte mit rein in das, dass man mich nach drei Jahren Gruppenzugehörigkeit schließlich ausschloss. Was man mit meinem Ausschluss bei mir als psychisch Kranker anrichtete, interessierte die Gruppe nicht. Ironischerweise war einer der wenigen Sätze, die man nach erfolgtem Ausschluss noch mit mir wechselte, der, den mir eine nun ehemalige „Schwester“ mit auf den Weg gab, nachdem man mir mitgeteilt hatte, man wolle, dass ich recht umgehend ausziehe: Ich müsse selbständig werden. Hatte man mich doch nach Strich und Faden bevormundet und ich mich nicht getraut, mich zu wehren bzw. nicht gewusst, wie.

Wie verlief Ihr Weg nach dem Ausschluss?

Naja, der Ausschluss erwies sich als äußerst heilsam für mich. Ich habe begriffen, dass die Holic-Gruppe nicht das ist, was sie vorgibt zu sein und dass Gott ganz praktisch ein ganz wundervoller Gott ist. Tatsächlich bin ich selbständig geworden, nachdem mein Leben vor meiner Zeit in der Gruppe geprägt war von sehr, sehr viel Therapie, beständiger Abhängigkeit von anderen Menschen, insbesondere Therapeuten. Ich bin durch eine schwere Zeit gegangen, aber Gott hat etwas sehr Gutes daraus gemacht. Und deshalb bin ich ihm, bei allem, was er jetzt mit mir aufarbeiten muss, schon sehr dankbar.

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